3. Überblick über Beobachtungssysteme

3.4 Einschätz- oder Ratingskalen zur Verhaltensbeobachtung

Mit einem Hinweis auf die Beurteilungspraxis im Beruf, die sowohl die von Lehrkräften durch die Schulbehörde als auch die von Schülern durch Lehrkräfte sein könnte, schreibt Hasemann (1983, S. 454): „Beurteilungen, wie sie etwa im Wirtschaftsleben oder im Öffentlichen Dienst ständig abgegeben werden, basieren auf der unsystematischen, unregelmäßigen Beobachtung von Verhalten im Dienst über einen längeren Zeitraum hinweg. Diese Art der Beurteilung vollzieht sich unausgesprochen ständig und wird zu besonderen Anlässen (Beförderung, Versetzung, Ablauf der Probezeit usw.) auch formuliert, jedoch keineswegs immer in schriftlicher Form. In dieser Weise vorgenommen, sind Beurteilungen als Niederschlag von Verhaltensbeobachtung unvollständig, in keiner Weise miteinander vergleichbar, und ebenso wenig systematisch auswertbar oder als Grundlage für einer der individuellen Persönlichkeit hinlänglich gerecht werdenden Charakterisierung brauchbar.“

Zur Verbesserung der Lage wurden Ratingskalen (hier auch Beurteilungsskalen) für verschiedenste Zwecke entwickelt, die wegen ihrer leichten Handhabbarkeit sehr beliebt wurden. Für die Verhaltensbeobachtung kommen vor allem zwei Anwendungstypen in Frage, bei Hasemann (1983, S. 454) folgendermaßen benannt: „Numerische Skalen sind solche Skalen, bei denen das Urteil über den Ausprägungsgrad eines Merkmals in Ziffern festgelegt wird.“ Es gibt Ratingskalen mit einer gradzahligen Anzahl von Skalenpunkten, meist 4 oder 6 oder mit ungradzahligen, meist 5 oder 7. Die gradzahligen Skalen zwingen den Anwender stärker zu Entscheidungen, die ungradzahligen bieten sich an, wenn die Skala in der Mitte einen Nullpunkt hat, im positiven Bereich ein bestimmtes Verhalten aufgespannt ist und im negativen dessen Gegenteil. Hasemann meint, dass in dem Fall, in dem die Punkte nicht mit z.B. „mittel“, „leicht“, „hoch“, sondern mit Ziffern einer Rangreihe, wie 1, 2, 3 angegeben sind, die Intervalle zwischen den Punkten gleich sind. Dann hätten wir also eine Intervallskala, ansonsten eine Rangskala (zu den grundlegenden Skalentypen in der Psychologie s. Lehreinheit 5).

Der zweite Anwendungstyp der Ratingskala ist die grafische Skala, bei der die Ausprägungsgrade oder Beispielitems entlang einer Geraden angelegt sind, als bereits markierte Längen oder mit Festlegungen durch den Beobachter selbst. Zur weiteren Auswertung müssen aber die so gewonnenen Daten in Zahlen umgerechnet werden. – Letztlich kommen in unserem Anwendungsfeld die numerischen Skalen häufiger vor als die grafischen Skalen.

Vor der Erstellung und Verwendung von Ratingskalen (manchmal auch als Einschätzskalen bezeichnet) wird das interessierende Verhalten im optimalen Fall theoretisch erforscht. Es kann z.B. ein Substrat von Lehrerverhalten sein, das als Ergebnis einer Faktorenanalyse entstanden ist, wie das Merkmal Wertschätzung-Geringschätzung bei Tausch und Tausch (1971). Bei der Anwendung einer solchen Skala wird das Auftreten des fraglichen Verhaltens erfasst, und zwar nach Intensität und Häufigkeit des Auftretens. Ratingskalen werden aber auch unter Umständen rasch zusammengestellt.

Ratingskalen
Mit Ratingskalen (Einschätzskalen) zur Verhaltensbeobachtung wird Häufigkeit oder Intensität meist theoretisch beschriebener Verhaltensausschnitte oder -aspekte auf einer Skala eingeschätzt.

Bei Anlage der Verhaltensbeobachtung muss auch noch festgelegt werden, für wie lange eine solche Skala zum Einsatz kommt. In unserem schulischen Kontext entspricht diese Beobachtungseinheit meist einer Unterrichtsstunde, also 45 Minuten. Das war und ist meist auch die Standardlänge von Videobändern bzw. Kassetten.

Tabelle 7.3: Ratingskala, die aus den folgenden 5 Skalenpunkten und Benennungen besteht.

Benennungen

Skalenpunkte

- sehr hoch

(5)

- hoch

(4)

- mittel

(3)

- niedrig

(2)

- sehr niedrig

(1)

Der beobachtende Praktikant entscheidet sich bei dieser Ratingskala für eine der Zahlen von 1 bis 5 und kreuzt diese an.

Nun ist der Einsatz der Ratingskala nicht so zu verstehen, dass immer eine einzige Skala vom Beobachter/von der Beobachterin anzuwenden sei. Es gibt auch Fälle, wo z.B. gleichzeitig zwei Skalen verwendet werden oder mehr. Aber auch bei einer noch größeren Anzahl ist im Vergleich mit Zeichensystemen und Kategoriensystemen klar, dass der Aufwand hier geringer ist. Es muss ja im Fall einer Skala nur eine einzige Zahl angekreuzt oder aufgeschrieben werden, welche das Ergebnis der 45-minütigen Verhaltensbeobachtung ist. Solche Beobachtungen sollten dann in festgelegter Serie wiederholt und untereinander verglichen werden. Man findet bei diesem Typus auch relativ häufig die sicher zutreffende Aussage: Der Beobachter ist das Messinstrument.