3. Arten, Ziele, Strategien und Modelle der Diagnostik

In den Standardwerken zur PD und PPD werden Arten von Diagnostik, Modelle der Diagnostik, diagnostische Ziele und diagnostische Strategien unterschieden, wobei verschiedene Autoren die entsprechenden Konzepte nicht einheitlich diesen Kategorien zuordnen. Deshalb sollen zunächst die Bedeutungen dieser Kategorien geklärt werden. Diagnostische Ziele sind die Zwecke, denen die diagnostischen Handlungen dienen sollen. Sie lassen sich gut als Endzustände eines Prozesses beschreiben. Konkrete Beispiele dafür sind eine Schullaufbahn-Empfehlung, oder die Zuordnung zu einer von mehreren Lerngruppen, die sich im Niveau der dort behandelten Aufgaben unterscheiden. Konkrete Ziele können dann, wie wir sehen werden, globalen Zielkategorien zugeordnet werden.

Strategien sind abstrakte Pläne, die zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt werden. Sie beziehen sich auf das Vorgehen bei der Verfolgung eines Zieles. So kann man etwa Lernergebnisse mit einer Messung abschließend erfassen, oder aber versuchen, den Lernprozess mit mehreren Messungen abzubilden. Auch spezifische Strategien werden zu globalen Kategorien zusammengefasst. Auch konkrete Ablaufschemata, beispielsweise zur Feststellung der Förderschulbedürftigkeit (Kornmann, 1977), werden bisweilen als Strategien bezeichnet.

Der Modellbegriff wird häufig unscharf und auch uneinheitlich verwendet. Allgemein definiert ist ein Modell die Abbildung ausgewählter Aspekte eines realen Sachverhaltes in einem anderen Medium. So betrachtet sind alle idealtypischen Beschreibungen diagnostischer Prozesse Modelle von Diagnostik. Da bestimmte diagnostische Zielsetzungen häufig bestimmte Strategien nahelegen, ist es sinnvoll, auch Kombinationen von Zielen und Strategien als diagnostische Modelle zu bezeichnen. Solche Kombinationen beruhen oft auf grundlegenden theoretischen Positionen oder Modellvorstellungen, die über die eigentliche Diagnostik hinaus gehen.

Amelang und Schmidt-Atzert (2006) unterscheiden zusätzlich zwei Arten von Diagnostik nach ihren Anwendungsfeldern. In der Schule und im Arbeitsleben treten immer wieder gleiche Fragestellungen auf, die überwiegend mit Routinemethoden beantwortet werden können. Man spricht in solchen Situationen von institutioneller Diagnostik (Cronbach & Gleser, 1965). Daneben gibt es die individuelle Diagnostik, bei der angeregt durch unterschiedliche Fragestellungen der diagnostische Prozess individuell geplant werden muss. Solche Situationen finden sich vor allem im Bereich der klinischen Psychologie, aber auch in der schulpsychologischen Einzelfallberatung. Natürlich wird Diagnostik auch in vielen Bereichen der psychologischen Forschung eingesetzt. Beispielsweise kann man die Wirksamkeit verschiedener Unterrichtsmethoden nur beurteilen, wenn man deren Aus-wirkungen auf die Kompetenzen, Interessen und Einstellungen der Schüler/inne/n misst.

Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Einteilungen vorgestellt. Man kann diese Einteilungen auch als Dimensionen diagnostischer Tätigkeit bezeichnen. Sie bestehen alle aus Begriffspaaren. Solche Paare werden von den meisten Menschen spontan als Gegensätze interpretiert. Und in der Tat werden manche dieser Unterscheidungen bis heute kontrovers diskutiert (Selektionsdiagnostik vs. Modifikationsdiagnostik; s. Ingenkamp & Lissmann, 2005). Manche dieser Begriffspaare bezeichnen aber auch Sachverhalte, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern eher ergänzen (normorientierte vs. kriterienorientierte Diagnostik). Man spricht auch davon, dass sie in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen. Und schließlich ist es in der Realität oft so, dass das Begriffspaar die Extrempole eines Kontinuums markiert, auf dem verschiedene Mischformen angesiedelt sind.