4. Fraktionen

Eine in Bezug auf den Gemeinderat bedeutsame Frage ist die rechtliche Stellung der Fraktionen. Insbesondere die sog. Kommunalverfassungsstreitigkeit, also eine Streitigkeit zwischen mehreren Organen der Gemeinde, erfordert die Betrachtung und Kenntnis derjenigen Organe einer Gemeinde, die mit eigenen organschaftlichen Rechten ausgestattet sind. Diese müssen aus der Gemeindeordnung, respektive der Geschäftsordnung des Gemeinderats abgeleitet werden können und begründen für das jeweilige Organ eine einklagbare organschaftliche Rechtsposition, die sodann im Wege der Kommunalverfassungsstreitigkeit für den Fall ihrer materiell-rechtlichen Begründetheit durchgesetzt werden kann. Während Ausschüsse unmittelbar aus der Gemeindeordnung eine organschaftliche Stellung ableiten können, sind Fraktionen von der Gemeindeordnung nicht explizit erwähnt, werden nur in Bezug auf die Besetzung der Ausschüsse in einem Spiegelbildlichkeitsprinzip genannt, das die Abbildung der Parteien und Wählergruppen auch in den Ausschüssen spiegelbildlich zum Hauptverwaltungsorgan der Gemeinde, dem Gemeinderat, ausgestaltet werden soll. Das impliziert in einem Rückschluss eine Verklammerung der einzelnen Gemeinderatsmitglieder durch deren Zugehörigkeit zu einer Partei oder Wählergruppe in einer Fraktion, deren politische couleur sodann auch in den Ausschüssen proportional zur Zusammensetzung des Gemeinderats stattfinden soll und so ein Mehr an demokratischer Abbildung garantieren soll. Dennoch muss nicht jedes Gemeinderatsmitglied einer Fraktion angehören, es besteht insofern kein Fraktionszwang. Wesentliches zu Fraktionen enthalten in aller Regel die Geschäftsordnungen der Gemeinderäte, welche Bestimmungen zu Anzahl, Sitzordnung nach Fraktionen und Verteilung der Fraktionen in den Ausschüssen beinhalten. Die Geschäftsordnung des Gemeinderats ist daher besonders bedeutsam für die Begründung der organschaftlichen Rechtsstellung der Fraktionen.

Zu den Charakteristika einer Fraktion: 

Eine Fraktion muss gewissen Anforderungen in formaler und materieller Hinsicht gerecht werden, um als „Suborgan“ des Gemeinderats eigene organschaftliche Rechte für sich in Anspruch nehmen zu können. Diese formalen Voraussetzungen sind aufgrund der mangelnden Bestimmung der GO relativ frei und durch den Gemeinderat in Teilen selbst festzulegen, sind aber in jedem Fall in der Geschäftsordnung des Gemeinderats festzuhalten. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Demokratieprinzips auch auf kommunaler Ebene kann insbesondere Art. 33 Abs. 1 S. 2 GO entnommen werden, dass die Gemeindeordnung eine Fraktionierung der Gemeinderatsmitglieder voraussetzt, welche sich sodann im Sinne des Demokratieprinzips in der Bildung und Zusammensetzung der Ausschüsse niederschlagen soll. Diesen Gedanken muss die Geschäftsordnung eines Gemeinderats aufnehmen, wenngleich hier insbesondere anhand der personenmäßigen Stärke des Gemeinderats degressiv abnehmend im Einzelfall Abweichungen geboten sind. Exemplarisch kann zunächst § 5 der Geschäftsordnung des Würzburger Stadtrats (Fassung v. 18.12.2018) betrachtet werden, welcher die Bildung von Fraktionen regelt. 

 

 

§ 5 Fraktionsbildung

(1) Parteien und Wählergruppen, die im Stadtrat mit mindestens drei Mitgliedern vertreten sind, bilden je eine Stadtratsfraktion. Daneben können einzelne Stadtrats-mitglieder sich zu Fraktionen zusammenschließen, sofern die Fraktion dann aus mindestens drei Mitgliedern besteht.

(2) Die Bildung und Bezeichnung der Fraktionen sowie die Namen der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertretung in der festgelegten Reihenfolge sind der Oberbürgermeisterin/dem Oberbürgermeister mitzuteilen, die/der den Stadtrat unterrichtet. Bei Fraktionen mit mehr als einem Vorsitzenden sowie mehreren gleichberechtigten Stellvertretern ist von der Fraktion die Vertretungsreihenfolge zu benennen.

 

Betrachtet man die Vorschrift im Einzelnen zeigt sich, dass an eine Fraktion sowohl formelle, wie auch materielle Anforderungen im Einzelnen gestellt werden, welche die organschaftliche Rechtsstellung einer Fraktion im Hinblick auf eine subjektive Rechtsstellung gegenüber der Durchsetzung organschaftlicher Rechte gegenüber einem anderen Organ der Gemeinde ermöglicht (Interorganstreit – Zwischenorganstreit). 

Zu den formalen Voraussetzungen ist die Bezeichnung der Fraktion, also eine Namensgebung, eine sachpolitisch und kommunalpolitische Übereinstimmung der Fraktionsmitglieder und eine Mindestanzahl von drei Fraktionsmitgliedern zu zählen. Auch die Benennung eines Fraktionsvorsitzenden sowie einer Stellvertretung dessen ist eine formale Voraussetzung, welcher die Fraktion gerecht werden muss. Ebenso besteht gegenüber dem ersten Bürgermeister (Oberbürgermeister der Stadt Würzburg) eine Mitteilungspflicht der Fraktion, diesen über die formelle Bildung der Fraktion zu unterrichten. 

In materieller Hinsicht muss eine Fraktion eine tatsächlich vorhandene politische Übereinstimmung auf kommunaler Ebene vorweisen, welche glaubhaft die Absicht einer längerfristigen politischen Zusammenarbeit der zur Fraktion gehörenden Stadtratsmitglieder beteuert. Hier gibt die Geschäftsordnung des Würzburger Stadtrats die Vermutung der Gemeindeordnung wieder, dass diese aufgrund entsprechender Parteizugehörigkeit oder Anhängerschaft einer Wählergruppe gegeben ist. Eine sich über diese bloße Zugehörigkeitsfrage hinwegsetzende Fraktion ist jedoch nicht ausgeschlossen, da es auf die längerfristig angelegte, ernsthafte und glaubhafte politische Übereinstimmung der Fraktionsmitglieder ankommt, die auch einem schriftlich vorliegenden Sachprogramm der Fraktion entnommen werden können muss. So erscheint es denkbar, dass eine Fraktion auch aus mehreren kleinen Parteien gebildet wird, die koalitionsmäßig in Kooperation stehen; zeitliches Leitbild soll die laufende Wahlperiode des Gemeinderats sein, da nur auf diese Weise eine Abbildung der Fraktionsstärke in den Ausschüssen dauerhaft gewährleistet werden kann, ohne diese aufgrund permanenter Fraktionsumbildung neu festlegen zu müssen. Dabei soll zwar der Gedanke eines politischen Konsenses das Fraktionsbild leiten, allerdings ist ein opportunistischer sowie zweckmäßiger Zusammenschluss durch eine Fraktion nicht schädlich. Eine rein technische Fraktionsbildung, zur Partizipation an entsprechenden Ausschüssen ohne glaubhafte politische Übereinstimmung der Fraktionsmitglieder, ist jedenfalls vor dem Hintergrund der Aushöhlung des dem Art. 33 Abs. 2 GO innwohnenden Gedankens einer sich in den Ausschüssen proportional widerspiegelnden demokratischen Abbildung der Zusammensetzung des Gemeinderats, nicht als Fraktionsbildung im materiellen Sinn anzuerkennen. 

Festgehalten werden kann, dass eine Fraktion abstrahiert vom hiesigen Einzelfall sowohl formellen als auch materiellen Anforderungen gerecht werden muss, um eine subjektive organschaftliche Rechtsstellung für sich behaupten zu können. Im Einzelnen gehört hierzu jedenfalls eine Bezeichnung der Fraktion sowie eine Benennung des Vorsitzenden und eine Mindestzahl der Fraktionsmitglieder, die eine gewisse organschaftliche Struktur erkennen lässt. In materieller Hinsicht muss die Mitglieder der Fraktion eine längerfristig angelegte politische Zusammenarbeit verbinden, die sich in einem sachbezogenen politischen und schriftlichen Programm der Fraktion manifestiert. 

Die Fraktionsbildung ist jedoch nicht in „Stein gemeißelt“, kann deshalb auch während der laufenden Wahlperiode des Gemeinderats entsprechend den Vorgaben der Geschäftsordnung erneut erfolgen. Dies kann unter Umständen der Parteiaustritt eines Fraktionsmitglieds sein oder die Bildung einer parteiübergreifenden Fraktion. Inwieweit eine Fraktionsumbildung eine Anpassung bspw. der Verteilung der Mitglieder in Ausschüssen veranlasst, steht in Abhängigkeit der zahlenmäßigen Bedeutung der Fraktionsumbildung vor dem Hintergrund der Gesamtzahl der Gemeinderatsmitglieder. Schließen sich bspw. zwei kleinere Fraktionen zu einer größeren Fraktion zusammen, evoziert dies nicht zwingend eine Anpassung der Ausschussverhältnisse, da die Ausschussvertreter insoweit addiert werden können und dann auch innerhalb des Ausschusses zahlenmäßig spiegelbildlich zum Gemeinderat vertreten sind. Anders verhält es sich hingegen dann, wenn eine Fraktion eine große Anzahl an Mitgliedern verliert und dieser Verlust die Fraktion insgesamt schwächt. Für diesen Fall erscheint es sachgerecht auch die spiegelbildliche Vertretung der Fraktion in Ausschüssen anzupassen, um die veränderte politische Fraktionsbildung des Gemeinderats nicht durch eine versteinerte Ausschusszusammensetzung für den Teil der beschließenden Ausschüsse zu umgehen, was nicht dem demokratisch legitimierten Mandat des Gemeinderats gerecht wird.