Drei Grundphänomene rechtsphilosophischen Denkens
Ungerechtigkeit des Rechts
Das positive Recht kann ungerecht sein. Das heißt: das positive Recht kann als bloße Emanation der Macht, als Ausdruck schierer Willkür erscheinen und so in Widerspruch mit elementaren Prinzipien der Gerechtigkeit bzw. der Sittlichkeit geraten.
![]() |
| Beginn von Kleists Novelle Michael Kohlhaas, im Band "Erzählungen" von 1810, der ersten vollständigen Veröffentlichung (Fragmente veröffentlichte Kleist schon vorher in einer Literaturzeitschrift). Foto: H.-P. Haack, Leipzig. |
Die Empfindung ungerechter Handlungen bzw. ungerechter Behandlung zählt wohl zum subjektiven Erfahrungsschatz eines jeden Einzelnen.1 Hierbei sind zuweilen Übertreibungen und Überreaktionen zu beobachten, wie sie literarisch in der Figur des Michael Kohlhaas (Heinrich v. Kleist) und neuerdings in der des Ministerialbeamten Fink (Martin Walser, Finks Krieg) verarbeitet worden sind.
Doch ist über subjektive (Über-)Empfindlichkeiten hinaus die Erfahrung, dass in Gestalt von Rechtsnormen und Rechtssystemen inhaltlich Schändliches verfügt und verordnet wird, eine historische Konstante. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts bietet mit den Totalitarismen Hitlers und Stalins besonders anschauliche Beispiele: als Stichworte mögen die Nürnberger Rassegesetze, Hitlers Euthanasieprogramm aufgrund seines Geheimbefehls vom 1. September 1939, der Judenmord und der Archipel Gulag gelten. Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang auch an den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze erinnern.
1 Zum zuweilen bornierten Beharren der Individuen auf 'ihrem' Recht und ihren Gerechtigkeitsvorstellungen vgl. W. Henke, Recht und Staat, 1988, S. 162 ff.
