4. Was ist ein Text? (II)

Wenn man nichtlinguistisch gebildete „Durchschnittssprachteilnehmer“ fragt, wie sie die Kategorie Text definieren würden, antworten diese ziemlich übereinstimmend, ein Text sei „eine über den Satz hinausgehende, abgeschlossene, thematisch gebundene, sinnvolle sprachliche Einheit.“ (Fix 2019: 19) Dabei stehen üblicherweise schriftliche Äußerungen im Fokus.
Sicher haben Sie ähnlich argumentiert!

Warum begnügt sich die Textlinguistik nicht mit dieser Definition?


Mit diesem alltagssprachlichen Befund hat man nun zwar das einschlägige Wissen der „Durchschnittssprachteilnehmer“ erkundet und damit den Wissensfundus, der gebraucht wird, um Textverstehen zu sichern, das uns ja in der Mehrzahl der Fälle erstaunlicherweise auch gelingt. Was wir damit aber noch nicht erreicht haben, ist die für die wissenschaftliche Betrachtung, d. h. das tiefere Eindringen in das Problem nötige Systematik, Verallgemeinerbarkeit, Vergleichbarkeit und Widersprüche ausschließende Objektivierung, kurz ein Erkenntnisgewinn durch Theoretisierung. Die Bemühungen in diese Richtung, von denen es im Zusammenhang mit der Textbestimmung und der Textklassifizierung vielfältige gibt, haben unser Wissen über den Text in vieler Hinsicht erweitert, differenziert und vertieft. Einen/den einheitlichen Textbegriff haben diese Arbeiten aber nicht gebracht. Zum Glück, möchte man sagen; denn der eine – notwendigerweise selektive und reduzierende – Textbegriff, auf den man dann festgelegt wäre, würde – ebenfalls wichtige – Aspekte ausschließen und damit mögliche Zugänge zum Phänomen ‚Text‘ verbauen. Die Gefahr einer solchen Festlegung besteht, wie die Erfahrung zeigt, aber deshalb gar nicht, weil die Ausgangsfragen und Erkenntnisinteressen, mit denen man an das Phänomen Text herangeht, zu verschieden sind und in jeweils andere, immer aufschlussreiche Richtungen führen. So wird, vereinfacht gesagt, Text u. a. verstanden als Verkettung von Sätzen, als Zeichenfolge mit einer Funktion, als thematische Einheit, als Mittel sprachlichen Handelns, als auf Wissensvoraussetzungen angewiesenes Konstrukt […]. Es leuchtet ein, dass von den sehr verschiedenen – morphologisch-syntaktischen, lexikologisch-semantischen, kognitiven, pragmatischen, semiotischen – Gesichtspunkten immer nur bestimmte in spezifischer Kombination eine Rolle spielen, jeweils nur in der für die jeweilige Textauffassung geeigneten Auswahl. (Fix 2019: 19)


Die Diskussion möglicher Antworten auf die Frage „Was ist ein Text?“ bildet also einen zentralen Bestandteil der theoretischen Gegenstandsbestimmung der Textlinguistik. Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass die meisten Einführungswerke in ihren ersten Kapiteln nicht erläutern, was die Textlinguistik eigentlich ist – sondern sich mit der Frage beschäftigen, was ein Text eigentlich ist.

In der Diskussion wurde das Wissen um den Forschungsgegenstand Text erweitert und vertieft. Heute stehen verschiedene Textauffassungen und Textbegriffe nebeneinander: Teilweise konkurrieren sie miteinander, meistens jedoch ergänzen sie sich, indem sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen.


Auch für diesen Kurs ist eine Beschäftigung mit der Frage, was ein Text eigentlich ist, unerlässlich. Sie werden daher noch in diesem Block verschiedene Textbegriffe kennenlernen. Wir beschäftigen uns dann außerdem mit der Frage, wie man in Bezug auf einen konkreten Text – zum Beispiel den Text, den Sie gerade als Beispiel genannt haben – entscheiden kann, ob es sich um einen Text im sprachwissenschaftlichen Sinne handelt oder nicht.



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