5. Multimediale Texte

 „Die Textlinguistik ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit […] schriftlichen Texten beschäftigt. Im Fokus stehen dabei die satzübergreifende Analyse sprachlicher Regularitäten und das Ziel, die konstitutiven Merkmale der sprachlichen Einheit ‚Text‘ zu bestimmen.“ (Krieg-Holz/Bülow 2016: 3)


In diesem Adjektiv verdichtet sich eine große Forschungsdiskussion. Brinker et. al. postulieren im Vorwort des Handbuchs „Text- und Gesprächslinguistik“, das 2000 erschienen ist:

Sprache und Kommunikation begegnen uns täglich in vielfältigen Formen. Das Alltagsverständnis hat diese komplexe Vielfalt in die strenge Dichotomie von „geschriebener“ und „gesprochener Kommunikation“ aufgegliedert. Die Termini „Text“ und „Gespräch“, die diese Dichotomie zum Ausdruck bringen, verweisen zunächst auf den medialen Realisierungsmodus der Kommunikation, deuten aber darüber hinaus eine kategoriale Trennung an, die auch wissenschaftstheoretische und methodische Implikationen aufweist. (2000: XVII)

Hier wird also recht selbstverständlich zwischen schriftlichen Texten und (mündlichen) Gesprächen unterschieden. Texte werden mit dem Methodeninstrumentarium der Textlinguistik analysiert, für Gespräche entwickelt die Gesprächslinguistik eigene Analysesets. Gerechtfertigt wird diese Trennung mit grundlegenden Unterschieden zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation: Erstere sei interaktiv-gleichzeitig, letztere zeitlich und räumlich versetzt.

Das Gespräch ist in diesem Verständnis der gesamte situativ konstituierte Kommunikationsprozeß, in dem eine Vielfalt von verbalen und nonverbalen Akten von den beteiligten Partnern realisiert wird.

Die Textlinguistik, die gut ein Jahrzehnt zuvor aus der Kritik an einer ausschließlich satzorientierten Linguistik entstanden war, läßt sich demgegenüber auf folgende Form sprachlicher Kommunikation eingrenzen: Sie wird von einer bestimmten Instanz (Einzelperson, Gruppe, Institution etc.) schriftlich konstituiert; Produktion und Rezeption sind nicht interaktiv-gleichzeitig, sondern zeitlich und räumlich versetzt. (Ebd.)


18 Jahre später fordern aber Karin Birkner und Nina Janich in einem neuen Handbuch zu „Text und Gespräch“, diese Trennung zu überdenken:

Die Autorinnen und Autoren dieses Handbuchs waren aufgefordert, text- und gesprächslinguistisch die Besonderheiten von (prototypisch geschriebenen, monologischen) Texten und (prototypisch gesprochenen, dialogischen) Gesprächen durch spezifische theoretische Ansätze und Methoden im Blick zu behalten, ihre analytische Trennung aber zugleich gezielt zu überwinden. Sie sollten den Blick also stärker auch auf das Verbindende, das Gemeinsame, die Übergänge und die Verschränkungen zwischen beiden werfen […]. (2018: IX)

Dazu empfehlen Birkner/Janich die Differenzierung zwischen „(medial) geschriebenen Texten“ und „(medial) gesprochenen Texten“, die unter dem Überbegriff „kommunikative Praktik“ zusammengefasst werden können.

Ein terminologisches Angebot hierfür war, begrifflich nicht mehr in erster Linie zwischen Text und Gespräch, sondern zwischen (medial) geschriebenem und (medial) gesprochenem Text zu unterscheiden. Im Vordergrund steht demnach der verbale Text, doch sollte auch seine para- und nonverbale Konstituiertheit, d. h. seine Multimodalität berücksichtigt werden. Um Übergänge und Verschränkungen zwischen gesprochenen und geschriebenen Texten verdeutlichen zu können, wurde den Autorinnen und Autoren daher ergänzend vorgeschlagen, mit dem Begriff der kommunikativen Praktik zu arbeiten. Stein (2011) schlägt in Anlehnung an Fiehler (z. B. 2000, 2005) den Terminus kommunikative Praktik als Überbegriff für (medial) gesprochene und geschriebene Texte vor und diskutiert die Anknüpfungspunkte zwischen dem textlinguistischen Konzept der ‚Textsorte‘ und dem gesprächslinguistischen Konzept der ‚kommunikativen Gattung‘ […].“ (Ebd.)

Auch wenn der Fokus der Textlinguistik also auf (medial) schriftlichen Texten liegt, werden heute verstärkt „Übergänge und Verschränkungen“ (Ebd.) zwischen diesen und (medial) mündlichen Texten untersucht, wozu auch Erkenntnisse der Gesprächslinguistik einbezogen werden. Wir werden an verschiedenen Stellen darauf zurückkommen. Vorerst sollten Sie sich merken:

Ein Text kann auch dann ein Text sein, wenn er nicht schriftlich (sondern mündlich) vorliegt.


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