§ 1 Einführung und verfassungsmäßige Grundlagen des Allgemeinen Verwaltungsrechts

I. Begriff und Funktionen des Verwaltungsrechts

Verwaltungsrecht ist die Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze des öffentlichen Rechts, die

- entweder die staatliche Verwaltung organisieren

- oder spezifisch deren Tätigkeit regeln,

- mit Ausnahme der Vorschriften anderer Rechtsordnungen, des Verfassungsrechts, des Staatsrechts und des Verwaltungsprozessrechts.

Gemeint ist ausschließlich die staatliche Verwaltung. Die Verwaltung privater Organisationen wird hingegen nicht durch das Verwaltungsrecht geregelt. Der Begriff der staatlichen Verwaltung kann negativ und positiv definiert werden. Nach der negativen Abgrenzung ist Verwaltung diejenige Staatstätigkeit, die nicht Gesetzgebung, nicht Rechtsprechung und nicht Staatsleitung ist (Subtraktionstheorie). Die positive Definition unterteilt den Verwaltungsbegriff abschließend in Verwaltung im organisatorischen Sinne, Verwaltung im formellen Sinne und Verwaltung im materiellen Sinne.

Verwaltung im organisatorischen Sinne

Verwaltung im formellen Sinne

Verwaltung im materiellen Sinne

Summe der Verwaltungsträger, Verwaltungsorgane und sonstigen Verwaltungseinricht- ungen

Gesamte Tätigkeit der Verwaltung im organisatorischen Sinne

Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben des Staates

Vereinfacht ausgedrückt ist das Verwaltungsrecht die Summe der Rechtssätze, die in spezifischer Weise für die Verwaltung, ihre Organisation, ihr Verfahren oder ihr Verhalten gelten.

Die Funktionen des Verwaltungsrechts liegen zum einen in der Organisation der Verwaltungsträger, d.h. der Sicherstellung der inneren Ordnung der Verwaltung und ihrer Abläufe und zum anderen in der Ausgestaltung der Bürger-Staat-Beziehung in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht.

Das Allgemeine Verwaltungsrecht umfasst diejenigen Verwaltungsrechtsnormen, die für die staatliche Verwaltung insgesamt maßgeblich sind, insbesondere

- das Verwaltungsorganisationsrecht,

- das Verwaltungsverfahrensrecht,

- das Recht der öffentlich-rechtlichen Handlungsformen,

- das Recht der Anstaltsnutzung,

- das öffentliche Sachenrecht,

- das Verwaltungsvollstreckungsrecht,

- das Staatshaftungsrecht.

Den Standort des Verwaltungsrechts in der Rechtsordnung verdeutlicht folgende Grafik:

Überstaatliches Recht

Innerstaatliches Recht

Völkerrecht

Gemeinschaftsrecht

Privatrecht

Strafrecht

Öffentliches Recht



z.B. BGB, HGB

StGB und strafrecht- liche Nebenge- setze

GG, Prozessord-nungen, Allgemeines und beson- deres Ver- waltungsrecht

II. Aufgaben der Verwaltung

Historisch gesehen lagen die ersten und wichtigsten Aufgaben der vollziehenden Gewalt im Bereich der Ordnungsverwaltung, d.h. im Vollzug der staatlichen Gesetze und in der Kontrolle der Einhaltung durch die Bürger. Nur so konnte ein geordnetes Zusammenleben erst ermöglicht und ein funktionierender Staat geschaffen werden. Heute umfasst die Ordnungsverwaltung vor allem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Abwehr von Gefahren (z.B. Polizei- und Sicherheitsrecht, Bauordnungsrecht, Gewerberecht).

Neben der klassischen Ordnungsverwaltung haben die Verwaltungsbehörden in einem modernen Sozialstaat vor allem Aufgaben im Rahmen der Leistungsverwaltung, insbesondere in der Daseinsvorsorge. Hierzu gehört die Gewährung von Leistungen an Einzelne (z.B. BAföG, Subventionen, Arbeitslosengeld) sowie die Bereitstellung von öffentlichen Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Theater, Schwimmbäder) und einer funktionsfähigen Infrastruktur (z.B. Straßen, öffentliche Verkehrsmittel).

Daneben gibt es noch folgende Aufgaben der Verwaltung:

Gewährleistungsverwaltung: Überwachung und Regulierung Privater, die in Folge von Privatisierung Leistungen erbringen, die zuvor der Staat im Rahmen seines Daseinsvorsorgeauftrages wahrgenommen hat (z.B. Post, Energieversorgung, Telekommunikation).

Abgabenverwaltung: Beschaffung von Geldmitteln durch Erhebung von Steuern und sonstigen Abgaben.

Bedarfsverwaltung: Sicherstellung des für die Verwaltungsaufgaben erforderlichen Bedarfs an Personal und Sachmitteln.

Vermögensverwaltung: Pflege und Verwertung der Vermögenswerte, die im Eigentum des Staates oder in dessen Verfügungsbefugnis stehen.

III. Organisation und Handlungsformen der Verwaltung

1. Organisation

Ein Tätigwerden der Verwaltung wird erst dann ermöglicht, wenn eine Institution besteht, die Personal und Sachmittel zur Verfügung stellt. Diese Verwaltungsträger sind in der Regel juristische Personen des öffentlichen Rechts, d.h. rechtsfähige Zurechnungsobjekte der verwaltungsrechtlichen Rechte und Pflichten. Vereinzelt gibt es auch beliehene Privatpersonen als Verwaltungsträger, z. B. die technischen Überwachungsvereine (TÜV). Für den Verwaltungsträger handeln gesetzlich vorgesehene Organe, die im Verwaltungsrecht meist als „Behörden“ bezeichnet werden. Die natürlichen Personen, die die Funktion eines Organs wahrnehmen, werden Organwalter genannt. Diese sehr technisch klingenden Grundbegriffe des Verwaltungsrechts sollen durch folgende Beispiele verdeutlicht werden:

Verwaltungsträger

Organ

Organwalter

Körperschaft

Vertreter nach außen

Natürliche Person

Freistaat Bayern

Ministerpräsident

Horst Seehofer

Stadt Würzburg

Oberbürgermeister

Georg Rosenthal

Universität Würzburg

Präsident

Alfred Forchel

Juristische Fakultät

Dekan

Christoph Weber

Jede Verwaltung in Deutschland ist entweder Bundes- oder Landesverwaltung. Art. 30 GG bestimmt, dass die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Länder im Gegensatz zum Bund über einen umfangreichen Verwaltungsunterbau (Landesämter, Bezirksregierungen, Kommunalverwaltungen) verfügen, der mit seinen fachlichen und personellen Mitteln in der Lage ist, den Verwaltungsauftrag zu erfüllen. Die wichtigsten Gegenstände, die der unmittelbaren Bundesverwaltung unterstehen, werden in Art. 87 Abs. 1 GG aufgelistet. Zu ihnen gehört z.B. der Auswärtige Dienst oder die Bundesfinanzverwaltung.

Den Aufbau der Verwaltung in Deutschland verdeutlicht folgende Übersicht:

Übersicht Aufbau Verwaltung

Die Grafik zeigt, dass zwischen unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung unterschieden werden muss. Bei der unmittelbaren Staatsverwaltung nehmen der Bund oder die Länder die Verwaltungsaufgaben selbst wahr. Bei der mittelbaren Staatsverwaltung erledigen dies ihre Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts in eigener Verantwortung.

Eine Körperschaft ist ein durch einen staatlichen Hoheitsakt geschaffener, mitgliedschaftlich verfasster Zusammenschluss, dem öffentliche Aufgaben zur Erledigung mit hoheitlichen Mitteln übertragen sind. Es gibt Gebiets-, Personal-, und Realkörperschaften. Wichtige Körperschaften sind z.B. die Gemeinden oder die Universitäten.

Unter einer Stiftung versteht man eine rechtlich verselbstständigte Vermögensmasse zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe (z.B. Museen).

Eine Anstalt ist die Zusammenfassung von Sachmitteln und Personal zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Anstalten unterscheiden sich darin von Stiftungen, dass sie Benutzer haben. Zu den wichtigsten Anstalten gehört etwa die Bundesagentur für Arbeit.

2. Handlungsformen

Unter Handlungsformen der Verwaltung ist das Instrumentarium zu verstehen, das einem Verwaltungsträger zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung steht und nach dem sein Tun rechtlich einzuordnen ist. Die wichtigste Handlungsform der Verwaltung ist der Verwaltungsakt, der in § 35 VwVfG definiert ist. Die Verwaltung kann aber auch z.B. mittels eines Realaktes oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handeln. Die einzelnen Handlungsformen werden in den §§ 4 ff. dieses Kurses detailliert erklärt und miteinander verglichen. Einen ersten Überblick soll die folgende Grafik gewähren:


Handlungsformen der Verwaltung

IV. Normenhierarchie und Rechtsquellen des Verwaltungsrechts

Nach dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Die deutsche Rechtsordnung besteht aber aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsnormen, wie die folgende Grafik zeigt:

Rechtsquellen

Angesichts dieser Fülle von Rechtssätzen, die von unterschiedlichen Institutionen, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Weise erlassen worden sind, kommt es immer wieder zu Normkollisionen und Wertungswidersprüchen. Der einzelne Organwalter muss aber wissen, welche Normen er anzuwenden hat, damit der Bürger auf eine gerechte und widerspruchsfreie Rechtsordnung vertrauen kann. Daher muss die Vielfalt der Rechtsquellen in ein System gebracht werden, welches die Widersprüche, die zwischen den verschiedenen Rechtsnormen bestehen, durch eine Rangordnung der Rechtsnormen löst.

Dies bewerkstelligen die drei folgenden verwaltungsrechtlichen Grundsätze:

(1) Lex superior derogat legi inferiori (das höherrangige Gesetz beseitigt das niederrangige Gesetz).

(2) Lex posterior derogat legi priori (das spätere Gesetz geht dem früheren Gesetz vor).

(3) Lex specialis derogat legi generali (das speziellere Gesetz geht dem allgemeinen Gesetz vor).

Ein Organwalter, der wegen widersprüchlichen Rechtsvorschriften nicht weiß, wie er den Sachverhalt, den er zu bearbeiten hat, entscheiden soll, muss daher zunächst einmal die Rangordnung der in Betracht kommenden Vorschriften klären. Wird der Sachverhalt durch eine hochrangige Norm geregelt, darf er allein diese anwenden und hat die niederrangigen Vorschriften zu ignorieren.

Daher stellt sich die Frage, welche Normen auf welcher Rangordnung einzuordnen sind. An oberster Stelle stehen die Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Dies liegt darin begründet, dass die Mitgliedstaaten der EU, also auch Deutschland, Hoheitsrechte an die Institutionen der EU abgetreten haben und die Funktionsfähigkeit der EU beeinträchtigt wäre, wenn der nationale Gesetzgeber gemeinschaftsrechtliche Regelungen beliebig durch eigene Rechtsvorschriften durchkreuzen könnte. Auf nationaler Ebene geht die Verfassung den formellen Gesetzen des Bundes vor. Danach folgen die Rechtsverordnungen und Satzungen des Bundes. Da gem. Art. 31 GG Bundesrecht Landesrecht bricht, ist erst dann Landesrecht anzuwenden, wenn der Sachverhalt nicht durch eine Rechtsvorschrift des Bundes geregelt ist. Widerspricht also z.B. ein Gesetz des Bayerischen Landtages einer Satzung des Bundes, darf die Verwaltung das bayerische Gesetz nicht anwenden, sondern muss die Satzung des Bundes beachten.

Normenhierarchie

Problematisch ist aber, ob und wo Verwaltungsvorschriften und Gewohnheitsrecht auf der Rangordnungspyramide eingeordnet werden können.

1. Verwaltungsvorschriften

Verwaltungsvorschriften sind Anordnungen, die innerhalb einer Verwaltungsorganisation von einer übergeordneten Verwaltungsinstanz oder einem Vorgesetzten an nachgeordnete Verwaltungsbehörden oder Bedienstete ergehen. Anders als Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen verlassen Verwaltungsvorschriften nicht den Rechtskreis der Verwaltung und sind daher mangels Außenwirkung nicht als Rechtsnorm einzustufen. Deshalb stellen sie keine unmittelbare Rechtsquelle des Verwaltungsrechts dar. Da aber die Gesetze, Verordnungen und Satzungen, die von der Verwaltung anzuwenden sind, in der Regel keine konkreten Sachverhalte regeln, sondern generell gehalten sind und unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, müssen sie ausgelegt und konkretisiert werden. Dies erfolgt durch die Verwaltungsvorschriften. Sie dienen somit dazu, eine einheitliche und sachgerechte Rechtsanwendung durch die Verwaltung zu gewährleisten. Die Verwaltung ist zur Beachtung der Verwaltungsvorschriften verpflichtet. Diese Verpflichtung beruht auf dem hierarchischen Aufbau der Verwaltung.

Fraglich ist aber, ob auch die Gerichte an die Verwaltungsvorschriften gebunden sind oder ob sie die unbestimmten Rechtsbegriffe unabhängig von den ergangenen Verwaltungsvorschriften auslegen und konkretisieren dürfen. Die Beantwortung dieser Frage hat für den Rechtsschutz des Einzelnen gegen Maßnahmen der Verwaltung erhebliche Bedeutung und ist juristisch umstritten. Grundsätzlich gilt, dass Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG den Gerichten die Verpflichtung zur uneingeschränkten Überprüfung des Verwaltungshandelns, also auch der Verwaltungsvorschriften, zuweist. Dies liegt darin begründet, dass Verfasser von Verwaltungsvorschriften anders als der parlamentarische Gesetzgeber nicht unmittelbar demokratisch legitimiert sind, d.h. eine Kontrolle durch den Wähler nicht erfolgt. Deshalb darf der Verwaltung nur in Ausnahmefällen ein begrenzter Entscheidungsfreiraum, der nicht gerichtlich voll überprüft werden kann, zugebilligt werden und zwar dann, wenn aufgrund der geregelten Materie bzw. der von der Behörde zu beurteilenden Situation die gerichtliche Kontrolle an ihre Funktionsgrenzen stößt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die geregelte Materie besonders komplex oder dynamisch ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Festlegung von Grenzwerten im Umweltrecht, die aufgrund einer Prognoseentscheidung und Risikobewertung der Verwaltung erfolgt, die die Gerichte nur bedingt nachprüfen können. Daher sind in diesen Bereichen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften anerkannt, deren Zweckmäßigkeit ausnahmsweise nicht gerichtlich überprüft werden kann. Ein Beispiel für eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift ist etwa die TA-Lärm.

2. Gewohnheitsrecht

Anders als formelle Gesetze, die von einem Staatsorgan in einem rechtlich geregelten Verfahren beschlossen, schriftlich festgelegt und öffentlich bekanntgegeben werden, handelt es sich beim Gewohnheitsrecht um ungeschriebenes Recht, das aufgrund langer tatsächlicher Übung und durch allgemeine Anerkennung seiner Verbindlichkeit im Sinne einer Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit der Übung entstanden ist. Obwohl es sich hierbei also um keine geschriebene Rechtsquelle des Verwaltungsrechts handelt, ist das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle des Verwaltungsrechts auf fast allen Rechtsordnungsebenen anerkannt und muss entsprechend der jeweiligen Entstehung und Reichweite in die Rangordnung eingefügt werden. Wegen der Vielzahl der geschriebenen Rechtsordnungen kommt dem Gewohnheitsrecht heutzutage aber nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu.

V. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Wie im letzten Abschnitt schon dargelegt wurde, ist die Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Sie muss daher entsprechend der Rechtsnormen, die sie zu beachten hat, handeln bzw. darf – negativ ausgedrückt – keine gegen die zu beachtenden Vorschriften verstoßenden Maßnahmen treffen. Diesen Grundsatz nennt man Vorrang des Gesetzes. Verstößt sie hiergegen, ist ihr Verwaltungshandeln rechtswidrig.

Schwieriger ist die Frage, ob auch ein Vorbehalt des Gesetzes besteht, d.h. ob ein Handeln der Verwaltung auf ein Gesetz zurückzuführen sein muss oder ob die Verwaltung auch dann handeln darf, wenn die beabsichtigte Handlung nicht gesetzlich geregelt ist. Nach der herrschenden Meinung ist zumindest dann eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage notwendig, wenn das Verwaltungshandeln in Rechte des Bürgers eingreift, weil hierbei immer grundrechtlich gesicherte Rechtspositionen des Bürgers tangiert werden. Bei der Leistungsverwaltung, also z.B. der Gewährung staatlicher Subventionen für ein wirtschaftlich in Not geratenes Unternehmen, werden hingegen unmittelbar keine Rechtspositionen beeinträchtigt. Dennoch begründet eine Begünstigung bestimmter Personenkreise mittelbar oft eine rechtliche Benachteiligung anderer, z.B. die der Konkurrenzunternehmen. Trotzdem gilt im Bereich der Leistungsverwaltung kein Totalvorbehalt des Gesetzes. Das Bundesverfassungsgericht geht vielmehr mit dem sog. Wesentlichkeitsgrundsatz einen Mittelweg. Der Vorbehalt des Gesetzes umfasst demnach nicht nur die herkömmlichen eingreifenden Vorbehalte, sondern es müssen darüber hinaus alle wesentlichen Fragen vom Gesetzgeber selbst geregelt werden. Als wesentlich sind dabei Regelungen zu verstehen, die für die Verwirklichung von Grundrechten erhebliche Bedeutung haben. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass wichtige staatliche Entscheidungen aus einem Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichnet, die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet und auch den Betroffenen und dem Publikum Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen zu bilden und zu vertreten. Ein Nachteil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ihre Unbestimmtheit. Ob eine Maßnahme im Bereich der Leistungsverwaltung grundrechtswesentlich ist, kann nur im Einzelfall entschieden und gerichtlich überprüft werden. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass je bedeutsamer eine Angelegenheit für die Allgemeinheit oder den einzelnen Bürger ist, desto höhere Anforderungen an den Gesetzgeber zu stellen sind.

VI. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss jegliches staatliches Handeln in Hinblick auf den verfolgten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Er wird auch als Übermaßverbot bezeichnet.

Wie der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, wird auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem in Artikel 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip entnommen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwingt die öffentliche Hand einen Ausgleich der Individualrechtsgüter mit den von den öffentlich-rechtlichen Normen geschützten Gütern oder Interessen herzustellen. Er erfordert ein je nach Rechtsverstoß und Schwere des Eingriffs abgestuftes Vorgehen.

Zunächst darf eine Maßnahme der Verwaltung nur dann erfolgen, wenn es hierfür einen legitimen Zweck gibt. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Maßnahme nicht gegen die Wertung des Grundgesetzes verstößt und sie nicht willkürlich ist.

Ist ein legitimer Zweck gegeben, darf die Verwaltung nur dann einen Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vornehmen, wenn dieser geeignet ist, den legitimen Zweck zu verwirklichen. Verbietet beispielsweise eine Behörde den Versandhandel mit verschreibungsfreien Medikamenten, um die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zu schützen, ist zwar ein legitimer Zweck gegeben, das Verbot ist aber ungeeignet. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass Medikamente, deren Fehl- und Überdosierung ernsthafte Gesundheitsgefahren auslösen können, verschreibungspflichtig sind und somit ein Versand-handelsverbot von verschreibungsfreien Medikamenten den Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht erhöht.

Des Weiteren muss die Maßnahme erforderlich sein. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein milderes, weniger belastendes Mittel gegeben ist, das den gleichen Erfolg erreichen kann. Schießt beispielsweise ein Polizist einem fliehenden Bankräuber gezielt in den Rücken, ist die Maßnahme unverhältnismäßig, wenn auch ein gezielter Beinschuss den Täter gestoppt hätte.

Schließlich muss das Handeln der Verwaltung auch angemessen sein (sog. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Unangemessen ist die Maßnahme dann, wenn der Nachteil für den Betroffenen und der erstrebte Erfolg in einem deutlichen Missverhältnis zueinander stehen, wenn also die durch die Maßnahme herbeigeführten Nachteile offensichtlich größer sind, als diejenigen, die durch sie abgewendet werden sollen. Ob eine Maßnahme unangemessen ist, kann nur im Einzelfall durch Abwägung der beeinträchtigten Rechtsgüter entschieden werden.

VII. Subjektiv öffentliche Rechte und besondere Gewaltverhältnisse

Die vom Gesetzgeber geschaffenen Normen haben nicht nur den Zweck die Verwaltung rechtlich zu binden, sondern sind in erster Linie dazu da, den Bürgern Rechte und Pflichten aufzulegen. Daher stellt sich die Frage, unter welchen Umständen ein Bürger einen Anspruch auf ein Handeln der Verwaltung zur Verfolgung seiner eigenen Interessen hat.

Aus objektiven Rechtsnormen des öffentlichen Rechts folgen nicht zwingend subjektiv-öffentliche Rechte. Vielmehr kommt es für einen Anspruch des Bürgers nach der herrschenden Schutznormtheorie darauf an, ob die zwischen der Verwaltung und dem Bürger im Streit stehende Bestimmung nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem subjektiven Interesse des Betroffenen zu dienen bestimmt ist. Erhält ein Bürger beispielsweise eine Baugenehmigung für den Ausbau seines Hauses, obwohl durch den Ausbau der gesetzlich geforderte Grenzabstand zum Nachbargrundstück verletzt werden würde, hat der betroffene Grundstücksnachbar einen Anspruch gegen die Behörde auf Aufhebung der Baugenehmigung, weil er als Nachbar zu dem Personenkreis gehört, der durch die verletzte Rechtsnorm geschützt werden soll. Ein Bürger, dessen Grundstück mehrere hundert Meter entfernt liegt, hat hingegen keinen Anspruch gegen die Behörde auf Aufhebung der rechtswidrigen Baugenehmigung, weil die verletzte Norm nicht ihn, sondern nur die Nachbarn des Bauenden schützen soll.

In sogenannten Sonderrechtsverhältnissen können die subjektiven Rechte des Einzelnen eingeschränkt sein. Hierzu gehören etwa das Beamtenverhältnis, der Strafvollzug, das Schul- und Hochschulverhältnis sowie das Wehrdienstverhältnis. Die Sonderrechtsstellung muss sich grundsätzlich aus einem grundrechtsbeschränkenden Parlamentsgesetz ergeben. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem sogenannten Grundverhältnis und dem Betriebsverhältnis. Im Grundverhältnis ist jede Person Bürger und somit Grundrechtsträger. Nur im Betriebsverhältnis soll z.B. ein Beamter oder ein Schüler dem Staat als Teil der eigenen Organisation gegenübertreten, so dass hier die subjektiven Rechte beschränkt sind. Betriebsverhältnis meint dabei die innere Regelung der betroffenen Einrichtung, etwa Organisationsmaßnahmen oder innerdienstliche Rechtsakte. Wird hingegen unmittelbar in die persönliche Rechtsstellung des im Sonderstatusverhältnis Stehenden eingegriffen, schlägt sich die Maßnahme auf das Grundverhältnis durch.

VIII. Gleichbehandlungsgrundsatz und Rechtschutzgarantien

Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieser Grundsatz verlangt von der Verwaltung, gleiche Sachverhalte auch gleich zu behandeln.

Aus Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich die Gleichbehandlungsverpflichtung für die Verwaltung bereits für die Anwendung des Rechts. Da sie nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes immer an die gesetzlichen Vorgaben gebunden ist und alle Menschen vor dem Recht gleich sind, werden damit auch alle Verwaltungsentscheidungen für jedermann gleichmäßig nach den Vorgaben der Gesetze ergehen (Rechtsanwendungsgleichheit). Daher werden alle Bürger von der Verwaltung nach den gleichen gesetzlichen Bestimmungen beurteilt.

Soweit aber der Gesetzgeber in der Vorschrift, die der Organwalter anzuwenden hat, Handlungsspielräume (Ermessen oder Beurteilungsspielräume) zugelassen hat, fehlt der gesetzliche Maßstab für die Gleichbehandlung.

Hier gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein objektives Willkürverbot. Dieses verpflichtet jede Behörde zur Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten, bzw. zur Ungleichbehandlung von Personen in wesentlich unterschiedlichen Lebenslagen.

Die Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes setzt also den Vergleich von Situationen voraus. Da die Lebenssachverhalte nie genau identisch sind, darf die Verwaltung die Merkmale bestimmen, aus denen sich eine Vergleichbarkeit ergibt. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot liegt erst dann vor, wenn kein sachlicher Grund für die Auswahl der Differenzierungskriterien gegeben ist oder die Verwaltungsentscheidung auf andere Weise willkürlich erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Kriterien oder die Ziele der Differenzierung mit dem Gerechtigkeitsgedanken unvereinbar sind oder gegen Wertentscheidungen der Verfassung verstoßen. So ist es zum Beispiel willkürlich, wenn die Behörde von ihren selbst gesetzten Entscheidungskriterien aus der Vergangenheit in einem Einzelfall abrücken will. Die Behörde hat jedoch jeder Zeit die Möglichkeit, ihre Entscheidungskriterien und damit auch ihre zukünftige Entscheidungspraxis generell für die Zukunft abzuändern.

Fühlt sich ein Bürger durch eine Handlung der Verwaltung in seinen Rechten verletzt, kann er gem. Art. 19 Abs. 4 GG vor einem Gericht Rechtsschutz verlangen. Neben diesem formellen Recht auf richterliches Gehör gibt Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Dieses Gebot eines effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Verwaltung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist. Vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen.

IX. Prüfungsschema zur Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln

In den allermeisten verwaltungsrechtlichen Fallklausuren fühlt sich ein fiktiver Bürger durch eine Maßnahme der Verwaltung in seinen Rechten verletzt und möchte sich hiergegen gerichtlich zur Wehr setzen. Der Student soll in der Klausur dann entweder in einem anwaltlichen Gutachten die Erfolgsaussichten der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe erörtern oder die Entscheidung des Gerichts vorwegnehmen. Daher steht in der Klausurlösung neben prozessualen Fragen vor allem die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsmaßnahme im Mittelpunkt. Im Folgenden soll deshalb ein Lösungsschema aufgezeigt werden, das die wichtigsten verwaltungsrechtlichen Grundsätze dieses Kapitels wiederholt und so allgemein gehalten ist, dass es für alle in Betracht kommenden Handlungsformen der Verwaltung gilt. Detaillierte Lösungsschemata zu den einzelnen Handlungsformen werden dann in den §§ 4 ff. dieses Kurses behandelt.

Grundsätzlich gilt, dass eine Maßnahme der Verwaltung, die in Rechte eines Bürgers eingreift, immer dann rechtmäßig ist, wenn sie aufgrund einer ordnungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage erlassen worden ist und keine formellen und materiellen Fehler aufweist.

1. Ermächtigungsgrundlage

Das zwingende Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage ergibt sich aus dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Ist diese z.B. wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam, so ist auch die auf ihr beruhende Verwaltungsmaßnahme rechtswidrig.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Eine Maßnahme der Verwaltung ist dann formell rechtmäßig, wenn sie von der zuständigen Behörde erlassen wurde und keine beachtlichen Verfahrens- oder Formfehler aufweist.

a) Zuständigkeit

Die Zuständigkeit einer Behörde muss örtlich und sachlich beurteilt werden.

Welchem Verwaltungsträger (Bund, Land, Gemeinde, Anstalt, Körperschaft des öffentlichen Rechts) die Verwaltungsaufgabe zugewiesen ist, ergibt sich aus der entsprechenden Sachmaterie und den einschlägigen Spezialgesetzen. Bsp.: Erteilung einer Baugenehmigung in Bayern – Art. 53 Abs. 1 S.2 BayBO (Bayerische Bauordnung)

b) Verfahren

Verfahrensregeln, die die Verwaltung beachten muss, finden sich vor allem in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes (VwVfG) und der Länder (z.B. BayVwVfG). Für die Klausurlösung wichtig ist die Tatsache, dass nicht alle Verfahrensfehler zwingend zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen müssen, da die Verwaltungsverfahrensgesetze diverse Ausnahmeregelungen und Heilungsmöglichkeiten enthalten. Weitere Verfahrensvorschriften finden sich in den Spezialgesetzen (Bsp.: Beteiligung des Nachbarn im baurechtlichen Genehmigungsverfahren, Art. 66 BayBO).

c) Form

Für einige Handlungsformen der Verwaltung gelten bestimmte Formvorschriften, andere sind formfrei. So können z. B. öffentlich-rechtliche Verträge gem. § 57 VwVfG nur in Schriftform abgeschlossen werden. Für den Erlass eines Verwaltungsaktes gelten hingegen grundsätzlich keine bestimmten Formvorschriften. Daher kann ein Verwaltungsakt auch mündlich erteilt werden. Nur ausnahmsweise bedürfen bestimmte Verwaltungsakte zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (Bsp. Art. 68 Abs. 2 BayBO – Baugenehmigung).

3. Materielle Rechtmäßigkeit

a) Subsumtion unter die Ermächtigungsgrundlage

Für die Frage, ob die Behörde materiell rechtmäßig gehandelt hat, ist zunächst zu untersuchen, ob sie den Sachverhalt zutreffend unter die in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage subsumiert hat. Hierfür sind die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage herauszuarbeiten und der jeweilige Sachverhalt ist unter diese zu subsumieren. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage tatsächlich vor, war die Entscheidung der Behörde, ihre Maßnahme auf diese zu stützen, rechtmäßig. Oftmals müssen an dieser Stelle unbestimmte Rechtsbegriffe, die in der Ermächtigungsgrundlage enthalten sind, konkretisiert werden.

b) Wahl der richtigen Rechtsfolge

Als nächstes ist zu überprüfen, ob die konkret getroffene Maßnahme von der Rechtsfolge der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Bei gebundenen Rechtvorschriften handelt die Verwaltung rechtmäßig, wenn sie die vorgeschriebene Rechtsfolge einhält. Schwieriger sind die Fälle, in denen der Verwaltung Ermessensspielräume für die Rechtsfolge eingeräumt werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Rechtsfolge mit einem „kann“ bzw. einem „soll“ versehen ist (Bsp.: „Das Landratsamt kann unter folgenden Voraussetzungen den Gewerbeschein einziehen“). Hier handelt die Behörde rechtmäßig, wenn sie eine ermessensfehlerfreie Entscheidung findet. (hierzu näher unter § 3 des Kurses). Vor allem darf die Entscheidung nicht willkürlich erfolgen.

c) Verhältnismäßigkeit der Maßnahme

Schließlich ist für die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme noch zu untersuchen, ob diese verhältnismäßig ist, d.h. ob ein legitimer Zweck für den Eingriff in die Rechte des Bürgers vorliegt und die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist (siehe oben).