Evaluation I: theoretische Grundlagen
2. Grundlagen der Evaluation
2.2 Funktion von Evaluation
Die oben genannte Definition von Evaluation betont, dass Evaluation stets ziel- und zweckorientiert ist. Geht es also um eine persönliche Vergewisserung zur eigenen Unterrichtsführung? Soll die Evaluation genutzt werden, um im Kollegenkreis eine gemeinsame Basis für die Weiterentwicklung des Unterrichts zu schaffen? Werden die Ergebnisse im Rahmen einer Qualitätskontrolle systematisch gesammelt und auch an Außenstehende kommuniziert?
Diese Fragen sprechen unterschiedliche Funktionen einer Evaluation an, die von Stockmann (2000) in einem Schema folgendermaßen zusammengefasst wurden (Abb. 11.1):
Abbildung 11.1: Unterschiedliche Funktionen von Evaluation
(modifiziert nach Stockmann, 2000)
Diese Funktionen können im Rahmen einer Evaluation des Unterrichts sowohl einzeln als auch in beliebiger Kombination genutzt werden. Das Sammeln grundlegender Informationen über den Unterricht dient beispielsweise der Erkenntnis über die eigene Unterrichtsführung. Diese Informationen werden möglicherweise noch ohne konkrete Vorstellung über mögliche bzw. angestrebte Veränderungen im Unterricht erhoben und werden ausschließlich individuell genutzt. Eine Selbstevaluation könnte beispielsweise im ersten Schritt alleine dem Erkenntnisgewinn dienen, um dann aus dieser Erkenntnis eigene Verhaltensänderungen abzuleiten.
Unterrichtsevaluation wird zur Kontrolle eingesetzt, wenn zum Beispiel die Wirksamkeit oder Wirkung einer Intervention gezielt überprüft werden soll. Wenn also im Anschluss an Projekttage eine Schülerbefragung durchgeführt wird, die sich besonders mit den Unterschieden der vergangenen Tage zum Regelunterricht befasst, dann dient die Evaluation nicht nur dem Erkenntnisgewinn, sondern auch der Kontrolle der durchgeführten Maßnahme. Die Kontrollfunktion kann einerseits intern im Sinne einer Regulation des eigenen Handelns ausgeübt werden. Von externen Stellen durchgeführte Evaluationen beinhalten in den meisten Fällen einen Kontrollaspekt, z.B. in Form einer Bewertung der Wirksamkeit einer Maßnahme. Eine Evaluation, die sich auf die Kontrollfunktion beschränkt, wird jedoch mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen haben. Gleichzeitig ist der Nutzen einer solchen Evaluation fraglich, da daraus abgeleitete Schlussfolgerungen auch die Motivation zur Umsetzung bei den Betroffenen benötigen. Wenn sich diese jedoch eher als „Opfer“ einer Evaluation empfinden, ist nicht mit einer eigenständigen Beteiligung zu rechnen.
Wenn die Erkenntnisse als Grundlage eines Austauschs genutzt werden sollen, dann steht der Dialog im Vordergrund. So kann beispielsweise eine Befragung der Schülerinnen und Schüler über die Unterrichtsführung dazu eingesetzt werden, mit diesen im Anschluss die Ergebnisse zu diskutieren und daraus Anregungen für den zukünftigen Unterricht abzuleiten. Der Austausch über Evaluationsergebnisse im Kollegium bietet ebenfalls die Möglichkeit, auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses weiterführende Anregungen zu erhalten. Soll Evaluation gewinnbringend, d.h. zur Weiterentwicklung von Schule und Unterricht, genutzt werden, dann ist die Dialogfunktion der Evaluation besonders bedeutsam.
Evaluation dient immer dann zur Legitimierung, wenn es gilt, eine durchgeführte Maßnahme vor Anderen zu vertreten. Ob nun die Arbeit des Kollegiums dem Schulamt oder Ministerium präsentiert wird oder man sich kritischen Fragen von Eltern oder Schulträgern stellt: Evaluation bietet die Möglichkeit, in strukturierter und (selbst-)kritischer Form Arbeits-prozesse und -ergebnisse zu untersuchen, zu interpretieren und in nachvollziehbaren Schlussfolgerungen zusammenzufassen.
In den meisten Fällen kommen in einer Evaluation mehrere dieser Funktionen zum Tragen. So können beispielsweise mit einem Unterrichtsbesuch einerseits Erkenntnisse über den tatsächlichen Einsatz geplanten Lehrformen im Unterricht gewonnen werden; gleichzeitig können diese Erkenntnisse zum Dialog über den Unterricht genutzt werden etc.
Die konkrete Ausgestaltung einer Evaluation richtet sich nach den angestrebten Funktionen. Eine gängige, aber sehr plakative Unterscheidung, die vor allem Ziel und Zweck der Evaluation beschreibt, wird zwischen formativer und summativer Evaluation getroffen: Formative Evaluation richtet sich vornehmlich intern an Akteure/Durchführende im evaluierten Prozess (also z.B. Lehrkräfte im Unterricht), die aufgrund der Ergebnisse dieser Evaluation dann steuernd in den Prozess eingreifen können. Summativ wird eine Evaluation dann, wenn nach der Maßnahme das Ergebnis festgehalten wird. Hier sind oftmals übergeordnete Stellen (Auftraggeber, Schulamt, Ministerien etc.) die eigentlichen Adressaten.
Abbildung 11.2: Unterschiedliche Facetten von Evaluation (Jäger, 2005)
So kann eine externe Evaluation einer Schule für das Ministerium als summative Evaluation – etwa zur Bewertung der Umsetzung eines Schulprogramms – genutzt werden, während die Schule selbst die Ergebnisse als formative Evaluation – einen Zwischenstand in einem Veränderungsprozess – wahrnimmt. Die Evaluation der (Hochschul-)Lehre (Schweer, 2010) kann ebenfalls unter beiden Perspektiven betrachtet werden. Die Lehrenden können die Ergebnisse im Sinne einer formativen Evaluation verstehen und ihre Veranstaltungen entsprechend anpassen; die Universitätsleitung sieht dagegen eher summative Aspekte und bewertet die Ergebnisse als Leistung der Lehrenden.
Abbildung 11.2 zeigt weitere mögliche Facetten einer Evaluation und macht so deutlich, dass formativ und summativ nur zwei ausgewählte Szenarien in einem breiten Feld möglicher Evaluationsformen darstellen.2
2 Häufig werden auch Fragen an das Evaluationsprojekt zur Klassifikation genutzt. Wottawa (2006) beschreibt unterschiedliche Evaluationsvorhaben z.B. mit Antworten auf die Fragen "Was?", "Wo?", "Welche Ziele?", "Kosten/Nutzen?", "Vergleichskriterien?" und "Wer entscheidet?".