4. Lehrergesundheit

4.1 Resilienzfaktoren und Stressoren

"Wie ist es zu erklären, dass bei vergleichbaren Belastungen verschiedene Menschen sich unterschiedlich beansprucht, herausgefordert oder überfordert fühlen?". Diese Frage stellen sich viele Autoren, z.B. auch Jerusalem (1990) in seinem Buch über persönliche Ressourcen, Vulnerabilität und Stresserleben. Weiter unten (Unterkap. 4.2) wird dargelegt, dass für Menschen mit besonders ehrgeizigen Karrierezielen Situationen, in denen Leistung und Bewertung eine Rolle spielen, zum einen bedeutsamer sind, zum anderen dadurch aber auch belastender für sie werden (Lazarus & Folkman, 1984).

Exkurs 4: Das transaktionale Stressmodell                                                                                                                                    

Ausgehend vom transaktionalen Stressmodell der Forschergruppe um Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984) werden Wechselwirkungen zwischen der Person mit ihren verfügbaren Ressourcen und einer potentiell beanspruchenden Situation (s. Abb. 12.3) angenommen. Dabei werden drei Arten von Bewertungs- und Bewältigungsprozessen angenommen: die primären Einschätzungen, die sekundären Einschätzungen und die Neueinschätzungen oder -bewertungen.

Abbildung 12.3: Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus und Folkman (1984)

 

  1. In einem primären Bewertungsprozess (s. auch Jerusalem, 1990) findet zunächst eine Überprüfung der subjektiven Bedeutsamkeit der Situation statt (primary appraisal: Ist das Ereignis für mich relevant? Wenn ja, ist es eher angenehm oder bedrohlich?). Bei stressrelevanten Situationen wird weiterhin unterschieden, ob sie als Schaden beziehungsweise Verlust, Bedrohung oder Herausforderung zu betrachten sind. Dabei liegen Schaden oder Verlust zeitlich in der Gegenwart oder in der Vergangenheit und sind mit einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens verbunden. Bedrohung oder Herausforderung beziehen sich dagegen auf zukünftige Ereignisse, bei denen Erfolg oder Misserfolg antizipiert wird.
  2. Kommt es tatsächlich zu einer stressrelevanten Bewertung, so wird in einem zweiten Bewertungsprozess (secondary appraisal) eingeschätzt, inwieweit die insgesamt zur Verfügung stehenden Bewältigungsprozesse ausreichen, um den Schaden für das eigene Wohlbefinden auszugleichen, wie die Erfolgswahrscheinlichkeiten ausfallen und inwiefern man diese tatsächlich einsetzen kann.
  3. Abschließend wird in Abhängigkeit der Ergebnisse aus Prozess 2 und unter Einfluss neuer Informationen oder hinzugekommener Ressourcen eine Neubewertung (reappraisal) vorgenommen (Jerusalem, 1990; Lazarus & Folkman, 1984).

Stress ist nach Jerusalem (1990) die persönliche Einschätzung, dass die eigenen Ressourcen bzw. Bewältigungsmöglichkeiten durch interne und/oder externe Anforderungen beansprucht oder überfordert werden und die persönliche Kontrollierbarkeit sowie das Wohlbefinden gefährdet sind (s. auch oben Exkurs 4). Dabei nimmt man an, dass bei Personen, die beispielsweise besonders resistent gegen Stress sind, zum einen Faktoren wie Intelligenz, Wissen, spezifische Fähigkeiten sowie Gesundheit und zum anderen subjektive Selbst-einschätzungen und Überzeugungen diese Resistenz bestimmen. Es sind also neben den Umweltbedingungen vor allem persönliche Ressourcen, die Einfluss darauf haben, was als Stress wahrgenommen wird.

Zwischen den Umweltbedingungen und den persönlichen Ressourcen nimmt Jerusalem (1990) nun weitere Faktoren an, die mediierend wirken. Einer dieser Mediatoren ist beispielsweise die Selbstwirksamkeit (s. auch Unterkap. 3.2.3): Verfügen Menschen über eine hohe Selbstwirksamkeit, erleben sie Misserfolge auch über längere Zeit hinweg als Herausforderung. Menschen mit entsprechend niedriger Selbstwirksamkeit sehen Misserfolge dagegen eher als Bedrohung und nehmen in solchen Situationen Kontrollverlust wahr.