Lehrerinnen und Lehrer im Beruf, Burnout, Lehrergesundheit, Lehrerpersönlichkeit, Mobbing: Selbstkonzept
Website: | WueCampus |
Kurs: | vhb - Differentielle und Persönlichkeitspsychologie im Kontext der Schule - Demo |
Buch: | Lehrerinnen und Lehrer im Beruf, Burnout, Lehrergesundheit, Lehrerpersönlichkeit, Mobbing: Selbstkonzept |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Donnerstag, 28. November 2024, 04:25 |
Inhaltsverzeichnis
- Karin Schweizer & Britt Tönjes, Nürnberg - Lehrerinnen und Lehrer im Beruf, Burnout, Lehrergesundheit. Lehrerpersönlichkeit, Mobbing: Selbstkonzept
- 1. Einleitung
- 2. Anforderungen an Lehrkräfte
- 3. Lehrerpersönlichkeit
- 4. Lehrergesundheit
- 4.1 Resilienzfaktoren und Stressoren
- 4.2 Burnout
- 4.2.1 Die Bedeutung von Burnout für den Lehrberuf
- 4.2.2 Zusammenhänge zwischen Burnout und Merkmalen der Person und des Arbeitsplatzes
- 4.2.3 Präventionsmaßnahmen gegenüber Burnout
- 4.3 Mobbing
- 4.3.1 Definition und Mobbinghandlungen
- 4.3.2 Mobbing im beruflichen Umfeld
- 4.3.3 Folgen von Mobbing und mögliche Prävention
- 5. Schluss
- 6. Literaturempfehlungen
- 7. Literaturverzeichnis
- 8. Übungsfragen
Karin Schweizer & Britt Tönjes, Nürnberg - Lehrerinnen und Lehrer im Beruf, Burnout, Lehrergesundheit. Lehrerpersönlichkeit, Mobbing: Selbstkonzept
Ziele Die eigene Persönlichkeit mit Selbstbild und Fremdbild im Kontext der schulischen Tätigkeit realistisch einschätzen können, auf unterschiedliche Anforderungen angemessen reagieren können. Forschungen zu Burnout und Lehrergesundheit kennen und präventive Maßnahmen kennen. |
1. Einleitung
In einer Dokumentation des Bayerischen Fernsehens zum Lehrerberuf (Schlechte Noten für die Schule. Was Lehrer nervt und stresst, 2004, Regie: Ch. Dröse) bringen Lehrerinnen und Lehrer ihren Ärger über das Bild der Anforderungen dieses Berufs in der Öffentlichkeit zum Ausdruck. Sie ärgern sich, wenn es im Bekanntenkreis heißt, „Was willst Du denn, Du hast doch einen lauen Job.“ Eine Lehrerin drückt dies so aus: „Es ärgert mich, wenn die Leute denken, wir gehen da um 8 hin und um 1 kommen wir wieder. Ja ja Du … Lehrer, ja, ja. Dieses … ach mit den kleinen Kindern, das ist doch leicht. 1 mal 1 kann ich auch, also Lehrer könnt ich auch machen. Solche Sachen, die jetzt im Gespräch sind, wenn ne Lehrerin krank ist, fragt man irgend’ne Mutter ob sie schnell den Unterricht macht, also das ist schon heftig, find ich.“
Wenn man diese Aussagen betrachtet, kommt man zur Auffassung, dass der Lehrerberuf in der Öffentlichkeit stark unterschätzt wird. Schon 1929 haben jedoch Charters und Waples herausgefunden, dass man als Lehrer über 1000 verschiedene Aufgaben beherrschen muss (s. auch Kap. 2).
An anderer Stelle wird über eine Lehrkraft berichtet, die ihren Beruf an den Nagel gehängt hat. Ihre Gründe: Der Druck von oben würde immer stärker. „Als Lehrer muss man das einfach dann so machen, wie er, der Rektor das denkt, also so hab ich das empfunden. Und wenn man da andere Ideen hatte oder einfach was nicht eingeseh’n hat, wovon er absolut überzeugt war, dann gibt’s dann eben Konfrontationen. So ein Mensch kann einem das Leben sehr sehr schwer machen.“
...
„Dann ähm so der, kann man sagen, der Konkurrenzdruck, so der Kollegen untereinander. Ich glaube der Grund ist dafür, dass man als Lehrer zumindest in meinem Volksschulbereich gibt’s ja keine Aufstiegsmöglichkeiten. Und deswegen sucht jeder für sich so ein bisschen ne Nische, wo er sich herausheben kann. Und wenn das halt noch mehrere machen, dann muss der andere wieder ein Stückchen höher. Und das hat man eben nicht gerne, wenn der andere das dann auch toll macht, dann muss ich das ja wieder noch toller machen. Was ich nicht verstehe, warum Lehrer nicht n Team bilden können und alles gemeinsam machen können, das versteh ich einfach nicht. Ich kann nur sagen, ich würde nie mehr zurückgehen.“
...
Lehrerinnen und Lehrer sind häufiger Patienten psychosomatischer Kliniken und Praxen als Vertreter anderer Berufsgruppen; über 90 % der Lehrerinnen und Lehrer scheiden vorzeitig aus ihrem Beruf aus. Auch die Betroffenen selbst beschweren sich - wie oben dargestellt - zunehmend über ihre Arbeitsverhältnisse (Schaarschmidt, 2005). Diese Sachverhalte werden in Kapitel 4 geschildert. Zuvor werden wir jedoch noch darauf eingehen, was einen guten Lehrer eigentlich ausmacht (Kapitel 3).
Abbildung 12.1: Überblick über die Lehreinheit 12
2. Anforderungen an Lehrkräfte
.
2.1 Gesellschaftlich-institutionelle Anforderungen
.
2.2 Didaktisch-methodische Anforderungen
.
2.3 Edukative Anforderungen
.
3. Lehrerpersönlichkeit
.
3.1 Persönlichkeitsmerkmale
.
3.2 Professionswissen
.
3.2.1 Selbstkonzept
.
3.2.2 Teachers’ Beliefs und epistemologische Überzeugungen
.
3.2.3 Selbstwirksamkeit
.
3.2.4 Zielorientierungen
.
4. Lehrergesundheit
Nach den Ausführungen zu Beginn des Kapitels und den Stimmen von Lehrern liegt es auf der Hand, dass Lehrergesundheit ein wichtiges Thema ist. Daher werden Studien zur Lehrerbelastung schon seit Jahrzehnten durchgeführt; im deutschen Sprachraum in den 1970er-Jahren vor allem zu Lehrerstress und Lehrerangst (Schaarschmidt, 2005).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als ein dynamisches Gleichgewicht des psychischen Wohlbefindens, "in dem der Einzelne seine intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen und produktiv und fruchtbar arbeiten kann, und imstande ist, seiner Gemeinschaft einen Beitrag zu leisten" (WHO, 2003). Auf globaler Ebene versteht man darunter ein "allgemeines öffentliches Gut, ein wesentlicher Teil der Gesundheit und des Wohlbefindens der Bürger in Europa und ein grundlegendes Menschenrecht; sie ist eine Voraussetzung für ein lebensfähiges, sozial verantwortliches und produktives Europa, sie verstärkt den gesell-schaftlichen Zusammenhalt und das Sozialkapital und verbessert die Sicherheit des Lebensumfelds" (WHO European Ministerial Conference, 2005).
Im Bericht "Gesundheitsförderung Schweiz" wird weiter darauf hingewiesen, dass neben den individuellen biopsychosozialen Einflussfaktoren (z.B. Selbstbestimmung, Werte) vor allem strukturelle, sozioökonomische Rahmenbedingungen wie soziale Herkunft und Bildung, Erwerbstätigkeit und Arbeitsstatus sowie institutionelle Aspekte (Zugang zum Versorgungssystem) die psychische Gesundheit fördern oder einschränken. Anhaltende Perioden von Angst und Unsicherheit sowie soziale Isolation und mangelnde soziale Unterstützung vergrößern das Risiko schlechter psychischer Gesundheit (Steinmann und Gesundheitsförderung Schweiz, 2005).
Exkurs 3: Wie kann man psychische Gesundheit feststellen?
Um psychische Gesundheit zu messen, existieren Verfahren wie z.B. die Skalen zur psychischen Gesundheit (SPG). Man kann jedoch verkürzt bestimmte Merkmale herausgreifen, die auf psychische Gesundheit schließen lassen (Voss, 2008)
- Man denkt nicht allzu sehr in sorgenvoller Weise über sein Leben und seine Handlungen nach.
- Man kann körperliche und seelische Bedürfnisse wahrnehmen und dafür sorgen und hat Kontakt zu seinen Gefühlen und weiß, wie man diese auf angemessene Weise ausdrücken kann (s. dazu auch Unterkap. 4.2).
- Man kann sich relativ frei in der Fantasie bewegen, d.h. es gibt nicht allzu viele Dinge, die gedanklich verboten sind.
- Man kann Fantasie und Realität auseinanderhalten.
- Man kann mit Unsicherheiten, Widersprüchen und Problemen umgehen.
- Man kennt sich selbst und die eigene Geschichte.
4.1 Resilienzfaktoren und Stressoren
"Wie ist es zu erklären, dass bei vergleichbaren Belastungen verschiedene Menschen sich unterschiedlich beansprucht, herausgefordert oder überfordert fühlen?". Diese Frage stellen sich viele Autoren, z.B. auch Jerusalem (1990) in seinem Buch über persönliche Ressourcen, Vulnerabilität und Stresserleben. Weiter unten (Unterkap. 4.2) wird dargelegt, dass für Menschen mit besonders ehrgeizigen Karrierezielen Situationen, in denen Leistung und Bewertung eine Rolle spielen, zum einen bedeutsamer sind, zum anderen dadurch aber auch belastender für sie werden (Lazarus & Folkman, 1984).
Exkurs 4: Das transaktionale Stressmodell
Ausgehend vom transaktionalen Stressmodell der Forschergruppe um Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984) werden Wechselwirkungen zwischen der Person mit ihren verfügbaren Ressourcen und einer potentiell beanspruchenden Situation (s. Abb. 12.3) angenommen. Dabei werden drei Arten von Bewertungs- und Bewältigungsprozessen angenommen: die primären Einschätzungen, die sekundären Einschätzungen und die Neueinschätzungen oder -bewertungen.
Abbildung 12.3: Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus und Folkman (1984)
- In einem primären Bewertungsprozess (s. auch Jerusalem, 1990) findet zunächst eine Überprüfung der subjektiven Bedeutsamkeit der Situation statt (primary appraisal: Ist das Ereignis für mich relevant? Wenn ja, ist es eher angenehm oder bedrohlich?). Bei stressrelevanten Situationen wird weiterhin unterschieden, ob sie als Schaden beziehungsweise Verlust, Bedrohung oder Herausforderung zu betrachten sind. Dabei liegen Schaden oder Verlust zeitlich in der Gegenwart oder in der Vergangenheit und sind mit einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens verbunden. Bedrohung oder Herausforderung beziehen sich dagegen auf zukünftige Ereignisse, bei denen Erfolg oder Misserfolg antizipiert wird.
- Kommt es tatsächlich zu einer stressrelevanten Bewertung, so wird in einem zweiten Bewertungsprozess (secondary appraisal) eingeschätzt, inwieweit die insgesamt zur Verfügung stehenden Bewältigungsprozesse ausreichen, um den Schaden für das eigene Wohlbefinden auszugleichen, wie die Erfolgswahrscheinlichkeiten ausfallen und inwiefern man diese tatsächlich einsetzen kann.
- Abschließend wird in Abhängigkeit der Ergebnisse aus Prozess 2 und unter Einfluss neuer Informationen oder hinzugekommener Ressourcen eine Neubewertung (reappraisal) vorgenommen (Jerusalem, 1990; Lazarus & Folkman, 1984).
Stress ist nach Jerusalem (1990) die persönliche Einschätzung, dass die eigenen Ressourcen bzw. Bewältigungsmöglichkeiten durch interne und/oder externe Anforderungen beansprucht oder überfordert werden und die persönliche Kontrollierbarkeit sowie das Wohlbefinden gefährdet sind (s. auch oben Exkurs 4). Dabei nimmt man an, dass bei Personen, die beispielsweise besonders resistent gegen Stress sind, zum einen Faktoren wie Intelligenz, Wissen, spezifische Fähigkeiten sowie Gesundheit und zum anderen subjektive Selbst-einschätzungen und Überzeugungen diese Resistenz bestimmen. Es sind also neben den Umweltbedingungen vor allem persönliche Ressourcen, die Einfluss darauf haben, was als Stress wahrgenommen wird.
Zwischen den Umweltbedingungen und den persönlichen Ressourcen nimmt Jerusalem (1990) nun weitere Faktoren an, die mediierend wirken. Einer dieser Mediatoren ist beispielsweise die Selbstwirksamkeit (s. auch Unterkap. 3.2.3): Verfügen Menschen über eine hohe Selbstwirksamkeit, erleben sie Misserfolge auch über längere Zeit hinweg als Herausforderung. Menschen mit entsprechend niedriger Selbstwirksamkeit sehen Misserfolge dagegen eher als Bedrohung und nehmen in solchen Situationen Kontrollverlust wahr.
4.2 Burnout
Viele Berufe bringen aus unterschiedlichen Gründen eine erhöhte Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen mit sich. Im Bereich der Sozialberufe und insbesondere im Lehrberuf ist Burnout, auch als berufliches Belastungserleben bezeichnet, eines der häufigsten thematisierten Beschwerdebilder (Lehr, 2004).
Burnout wird in der Literatur als ein Syndrom beschrieben, dass aus drei Dimensionen besteht (Enzmann & Kleiber, 1989; Maslach, Jackson & Leiter, 1996).
Abbildung 12.4: Strukturelles Modell des Burnout (nach Maslach, Jackson & Leiter, 1996).
- Emotionale Erschöpfung steht für das Gefühl, vom Beruf ausgelaugt zu sein.
- Unter Leistungsmangelwahrnehmung versteht man die Wahrnehmung, dass die eigenen Ressourcen nicht (mehr) genügen, um den Anforderungen des Berufes gerecht zu werden.
- Depersonalisierung wird als wahrgenommener Mangel an Interessen und Gefühlen der Schüler verstanden (vgl. Abb. 12.1).
Im Laufe der Entwicklung eines solchen beruflichen Belastungserlebens mit Krankheitswert, wie man Burnout versteht, können diese Dimensionen in unterschiedlichem Maße vorhanden sein. Maslach und Kollegen gehen jedoch davon aus, dass sich Depersonalisierung als Folge stark empfundener emotionaler Erschöpfung entwickelt (s. Pfeil in Abb. 12.4) während für die Wahrnehmung von Leistungsmangel eine zur emotionalen Erschöpfung und Deperso-nalisierung parallele Entwicklung angenommen wird.
Im deutschsprachigen Raum wird Burnout im Kontext der Arbeiten Schaarschmidts und Kollegen als eines von vier möglichen arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern (AVEM) verstanden, das sogenannte Risikomuster B. Dieses ist durch reduziertes Arbeitsengagement, verminderte Belastbarkeit und ein negatives Lebensgefühl gekennzeichnet (Schaarschmidt & Kieschke, 2007). Genauere Informationen zum AVEM, der durch die Erfassung einer großen Zahl von Haltungen, Einstellungen, Kompetenzen und Gefühlen eine aufwendige Konzeption darstellt, finden sich zum Beispiel bei Schaarschmidt und Fischer (2003).
4.2.1 Die Bedeutung von Burnout für den Lehrberuf
Burnout ist in der Gruppe der Lehrenden ein wichtiger Grund für frühzeitige Pensionierungen (Lehr, 2004). Aber auch schon bevor Lehrkräfte sich so "ausgebrannt" fühlen, dass sie ihren Beruf an den Nagel hängen (müssen), wirkt sich diese Störung bei ihrer Berufsbewältigung aus: Schüler fühlen sich von Lehrkräften, die sich stark beruflich belastet fühlen, nicht so gut gefördert, wie von Lehrkräften, die sich weniger beruflich belastet fühlen (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006). Diese geringere Förderung äußert sich aus Schülersicht zum Beispiel darin, dass die Lehrkräfte die Entwicklung ihrer kognitiven Selbstständigkeit weniger gut unterstützen. Die Schüler haben darüber hinaus auch das Gefühl, dass diese Lehrkräfte ihnen im Unterricht zum Beispiel zu wenig Zeit zum Beantworten einer Frage lassen.
Exkurs 5 (Dr. Hans-Peter Trolldenier):
Verhaltens- und Erlebensmuster zu Lehrergesundheit und Burnout nach Schaarschmidt
Schaarschmidt (2008, S. 198) weist unter dem Stichwort „Lehrergesundheit“ auf die hohen psychischen Belastungen des Lehrerberufs hin und nennt als Beleg die „außerordentlich hohen Zahlen von Dienstunfähigkeit und vorgezogenem Ruhestand“. Schon seit Jahrzehnten werden Studien zur Lehrerbelastung durchgeführt und seit den achtziger Jahren wird auch speziell das „Burnout-Syndrom“ systematisch erforscht, beginnend 1976 mit den Studien der Sozialpsychologin Masloch und ihrem Team an der Berkeley-Universität in Kalifornien (zit. nach Barth, 2010). Schaarschmidt sieht die Entstehung des Burnout darin, dass „anfängliche Erwartungen permanent und massiv enttäuscht werden. Die Enttäuschungen ändern sich im Erleben eines Ungleichgewichts vom Geben und Empfangen zuungunsten des Letzteren und schlagen sich dann als negative Beanspruchungsfolgen nieder.“
Dieses Ungleichgewicht bezieht sich vor allem auf zwischenmenschliche Beziehung und auf die Organisation des Lehrerberufs. Wie die Bezeichnung „Burnout“ bereits impliziert, beschreibt dieser Begriff einen Prozess, der vom Brennen zum Ausbrennen verläuft (Schaarschmidt, 2008, S. 201).
Im Gegensatz zu einer häufig üblichen symptomorientierten Vorgehensweise bei der Burnout-Diagnostik stehen bei Schaarschmidt die persönlichen Ressourcen im Mittelpunkt, die jedem Menschen zur Ausübung seines Berufes in unterschiedlichem Maße zur Verfügung stehen. Er möchte damit einerseits von anderen Berufsgruppen abgrenzen und andererseits pragmatisch handhabbare Dimensionen schaffen, die gleichzeitig für Diagnose und Prävention/Intervention benutzt werden können. Das gelang bei der Schaffung des Diagnose-verfahrens „Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM)“. Diese hier vorkommenden elf Dimensionen heißen (nach Schaarschmidt, 2006):
- Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit: Stellenwert der Arbeit im persönlichen Leben. Beispielitem: Die Arbeit ist für mich der wichtigste Lebensinhalt.
- Beruflicher Ehrgeiz: Streben nach Zielen und Weiterkommen im Beruf. Beispielitem: Ich möchte beruflich weiter kommen, als es die meisten meiner Bekannten geschafft haben.
- Verausgabungsbereitschaft: Bereitschaft, die persönliche Kraft für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe einzusetzen. Beispielitem: Wenn es sein muss, arbeite ich bis zur Erschöpfung.
- Perfektionsstreben: Anspruch bezüglich Güte und Zuverlässigkeit der eigenen Arbeitsleistung. Beispielitem: Was immer ich tue, es muss perfekt sein.
- Distanzierungsfähigkeit: Fähigkeit zur psychischen Erholung von der Arbeit. Beispielitem: Nach der Arbeit kann ich ohne Probleme abschalten.
- Resignationstendenz bei Misserfolgen: Neigung, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben. Beispielitem: Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell.
- Offensive Problembewältigung: Aktive und optimistische Haltung gegenüber Herausforderungen und auftretenden Problemen. Beispielitem: Für mich sind Schwierigkeiten dazu da, dass ich sie überwinde.
- Innere Ruhe und Ausgeglichenheit: Erleben psychischer Stabilität und inneren Gleichgewichts. Beispielitem: Mich bringt so leicht nichts aus der Ruhe.
- Erfolgserleben im Beruf: Zufriedenheit mit dem beruflich Erreichten. Beispielitem: Mein bisheriges Berufsleben war recht erfolgreich.
- Lebenszufriedenheit: Zufriedenheit mit der gesamten, auch über die Arbeit hinausgehenden Lebenssituation. Beispielitem: Im Großen und Ganzen bin ich glücklich und zufrieden.
- Erleben sozialer Unterstützung: Vertrauen in die Unterstützung durch nahestehende Menschen, Gefühl der sozialen Geborgenheit. Beispielitem: Wenn ich mal Rat und Hilfe brauche, ist immer jemand da.
Die individuellen Ausprägungen innerhalb der elf Dimensionen werden für jede Befragungsperson nach dem Ausfüllen von AVEM ermittelt. Auf dieser Grundlage beschreibt Schaarschmidt (2008, S. 202) vier Muster beruflichen Bewältigungsverhaltens, darunter die zwei „normalen“ Muster G und S und die zwei Risikomuster A und B:
- „Muster G: (Gesundheit: hohes, aber nicht überhöhtes Engagement, Belastbarkeit und Zufriedenheit),
- Muster S (Schonung/Schutz: geringes Engagement, Gelassenheit und relative Zufriedenheit),
- Risikomuster A (Selbstüberforderung: exzessive Verausgabung und verminderte Erholungsfähigkeit, Einschränkung der Belastbarkeit und Zufriedenheit) und
- Risikomuster B (Resignation: reduziertes Engagement bei stark verringerter Erholungs- und Widerstandsfähigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit).“
Einen genaueren Überblick über die Zusammensetzung der vier Muster nach den jeweiligen Ausprägungsgraden in allen elf Dimensionen ermöglicht Abbildung 12.5.
Abbildung 12.5: Die vier Bewältigungsmuster im Lehrerberuf nach Schaarschmidt (dargestellt in Anlehnung an Schaarschmidt, 2006).
Nach Schaarschmidt (2008, S. 202) entspricht das Risikomuster B „in seinen Merkmalen den letzten Stadien eines Burnout-Prozesses. Dennoch kann es nicht ohne Weiteres mit Burnout gleichgesetzt werden. Von Burnout wäre dann zu sprechen, wenn die Entwicklung von Muster A („Brennen“) zu Muster B („Ausgebranntsein“) verläuft.“ Damit ist der Akzent auf Burnout als Prozess gelegt, im Gegensatz zu der in der Literatur auch vorkommenden reinen Zustandsbeschreibung.
Auf der Grundlage von Untersuchungen an ca. 16 000 Lehrkräften in 14 Bundesländern kommt Schaarschmidt (2010, S. 418f.) zu folgenden Aussagen:
- Es gibt eine für den Lehrerberuf charakteristische Musterverteilung: Muster G ca. 16 %, Risikomuster A und B jeweils ca. 30 % (entsprechend dann S ca. 24 %).
- Die Musterverteilung ist kaum von den verschiedenen Schultypen oder dem Alter der Lehrer abhängig.
- Die Geschlechtsunterschiede in der Musterverteilung fallen zum Nachteil der Frauen aus.
Im Rahmen einer dringend nötigen Prävention/Intervention von Burnout müssen die Rahmenbedingungen des Lehrerberufs verbessert werden und Lehrer sollen mit ihren wachsenden Schwierigkeiten nicht alleine gelassen werden. Als eine einzelne system-bezogene Maßnahme wird die Verringerung der Schülerzahlen pro Klasse genannt. Interessant wäre eine Prüfung des Eignungs- und Anforderungsprofils vor Beginn der Lehrerausbildung.
Als auf einzelne Personen zugeschnittene Maßnahmen nennt Schaarschmidt für die Risikomuster A und B: Belastungsausgleich (Entspannen…), Zufriedenheitserlebnisse, Teamgeist und Vertrauen im Lehrerkollegium (vgl. spezielle Programme dazu, etwa bei Meidinger & Enders, 1997 und bei Schlee, 2008).
Speziell bei Risikomuster A: keine Selbstüberforderung, bessere Arbeitsorganisation, lerne nein sagen zu können. Stärkere Hilfen sind bei Risikomuster B nötig: Supervision und Einzel- oder Gruppenpsychotherapie, eventuell ein Wechsel des Berufs.
In der Lehrerausbildung sollten stärker als bisher die sozial-kommunikativen Fähigkeiten gefördert werden. In der Berufslaufbahn sollte erreicht werden, dass Lehrer sich selbst stärker um eine Weiterentwicklung bemühen, im Sinne einer Verbesserung der beruflichen Kompetenzen, aber auch durch eine stärkere Beachtung der persönlichen Beanspruchung und realistischer Schaffung von Ausgleich.
Literatur:
Barth, A.-R. (2010). Burnout bei Lehrern. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Auflage, S. 83-89). Weinheim: Beltz.
Meidinger, H. & Enders, Ch. (1997). Burnout-Seminare für Lehrer: Ausgebrannt und aufgebaut; Arbeits- und Nachdenkbuch. Neuwied: Luchterhand.
Schlee, J. (2008). Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe. Hilfe zur Selbsthilfe. Stuttgart: Kohlhammer.
Schaarschmidt, U. (2008) Burnout im Lehrerberuf. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 197-209). Göttingen: Hogrefe.
Schaarschmidt, U. (2010). Lehrerbelastung. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Auflage, S. 416-421). Weinheim: Beltz.
Schaarschmidt, U. (2006) AVEM – ein Instrument zur interventionsbezogenen Diagnostik beruflichen Bewältigungsverhaltens. Zugriff am 01.12.2010 http://www.psychotherapie.uni-wuerzburg.de/termine/dateien/Schaarschmidt180407_AVEM.pdf
4.2.2 Zusammenhänge zwischen Burnout und Merkmalen der Person und des Arbeitsplatzes
Aufgrund der Bedeutung des Syndroms für das System Schule und das Gelingen pädagogischer Prozesse innerhalb dieses Systems, wurde berufliches Belastungserleben breit beforscht. Es galt, Ursachen von Burnout zu erkennen, um Maßnahmen zu entwickeln, mittels derer der Anteil an betroffenen Lehrkräften reduziert werden könnte. Diese Aufgabe ist heute noch so aktuell wie vor 30 Jahren, als die ersten Arbeiten zum Burnout veröffentlicht wurden (Freudenberger, 1974; Maslach, 1976). Damals wie heute wird dabei zum einen untersucht, welche Faktoren des Arbeitsplatzes relevant für die Entwicklung von Burnout sind und zum anderen, welche Personenmerkmale.
Der Arbeitsplatz einer Lehrkraft ist durch eine hohe Arbeitszeitbelastung und eine hohe Reglementierung der Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Arbeit gekennzeichnet (Schaarschmidt, 2008). Auch Arbeitsmenge und Rollenkonflikte während der Arbeit werden als Burnout fördernde Eigenschaften dieses Berufes aufgefasst (Byrne, 1999; Rudow, 1999).
Bei den Personenmerkmalen ist zu allererst die Persönlichkeit in den Blick zu nehmen. Untersuchungen zum Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften und Burnout weisen immer wieder auf die Bedeutung von Neurotizismus oder auch emotionaler Instabilität hin. Lehrkräfte, die emotional eher instabil sind, weisen auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit berufliches Belastungserleben auf (Kokkinos, 2007; Tönjes, Dickhäuser & Kröner, 2008).
Exkurs 6:
Selektion von Interessenten für ein Lehramtsstudium auf der Basis von Personenmerkmalen.
In der Längsschnittstudie von Rauin (2007) über 12 Jahre vom Beginn des Lehramtsstudiums bis 4 Jahre nach Berufseinstieg zeigt sich folgendes Bild: Diejenigen Studienteilnehmer, die zu Beginn ihres Studiums über eine ungünstige Konstellation von Persönlichkeitsfaktoren verfügten, an sich wenige für den Lehrberuf relevante Fähigkeiten wahrnahmen und eher aus Alternativlosigkeit den Beruf des Lehrers gewählt hatten, waren nach vier Jahren Berufstätigkeit zu einem größeren Anteil von Burnout betroffen als Studienteilnehmer, die zu Beginn ihres Studiums über eine günstige Persönlichkeits-konstellation verfügt hatten, relevante Fähigkeiten an sich wahrnahmen und aus ideellen Gründen den Beruf gewählt hatten. Dieses Ergebnis vor dem Hintergrund, dass insbesondere hohe Neurotizismuswerte stark positiv mit emotionaler Erschöpfung korrelieren (s. Unterkap. 3.1), spricht dafür, dass Personen schon allein durch ihre Persönlichkeit ungünstigere Voraussetzungen haben können, die Anforderungen des Lehrerberufs erfolgreich, also burnoutfrei, zu bewältigen.
Auf der anderen Seite zeigt die gleiche Studie aber auch, dass das Wissen über ungünstige Personenmerkmale eines Studiumsinteressierten keine 100 %ige Vorhersage über Erfolg oder Misserfolg bei der Bewältigung der Anforderungen des Lehrberufs ermöglicht. Sowohl unter den Studienteilnehmern mit günstigen Voraussetzungen als auch unter denen mit ungünstigen Voraussetzungen fanden sich sowohl Lehrkräfte mit als auch ohne berufliches Belastungs-erleben. Günstige Personenmerkmale stellen also auch keine Garantie für ein erfolgreiches Bewältigen der Anforderungen des Lehrberufs dar.
Empfehlung daher: Ausgiebige Information der interessierten Abiturienten und gleichzeitig studiumsbegleitende Aufklärung über und Förderung von protektiven Faktoren. Als protektive Faktoren kommt z.B. die Pflege sozialer Netzwerke innerhalb von Lehrer-kollegien, aber auch im privaten Bereich, als Grundlage für soziale Unterstützung im beruflichen Alltag infrage.
Auch die wahrgenommene soziale Unterstützung am Arbeitsplatz ist ein Faktor, dessen Zusammenhang mit Burnout bereits gut belegt werden konnte (van Dick, 1999; van Dick, Wagner & Petzel, 1999). Lehrkräfte, die sich gut unterstützt fühlen durch Kollegen, Schulleiter und Schüler, aber auch durch einen familiären Rückhalt, fühlen sich weniger beruflich belastet als Lehrkräfte, die keine Unterstützung wahrnehmen (s. dazu auch Unterkap. 4.3).
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die wahrgenommene Reziprozität. Soziale Berufe und insbesondere der Beruf des Lehrers sind gekennzeichnet durch einen Mangel an adäquaten Informationen über die Wirksamkeit der eigenen Arbeit. Die Leistungszuwächse der Schüler sind Ergebnis von sowohl Fähigkeit und Engagement der Lehrkraft als auch Fähigkeit und Engagement des Schülers und somit keine gute Grundlage für die Bewertung der eigenen Arbeit. Lehrkräfte bedürfen daher eines Feedbacks, um zu erfahren, dass ihre Arbeit wertvoll war. Daher steht auch das Ausmaß an Reziprozität in Zusammenhang mit Burnout. Lehrkräfte, die das Gefühl haben, ihre Schüler wissen ihr Engagement nicht zu schätzen, erleben eher Burnout, als Lehrkräfte, die ein ausgeglichenes Verhältnis hinsichtlich des Gebens und Nehmens zwischen sich und den Schülern wahrnehmen (Bakker et al., 2000).
Auch motivationale Faktoren wie berufliche Zielorientierungen (s. auch Unterkap. 3.2.4) stehen mit beruflichem Belastungserleben in Zusammenhang (Tönjes-von Platen, 2010). Unter anderem erleben Lehrkräfte, die vornehmlich motiviert sind, in ihrer Arbeit keine Schwäche zu zeigen, eher Burnout als Lehrkräfte, für die dieser Fokus nicht im Vordergrund steht.
Ein Patentrezept dafür, wie man sich vor der Entwicklung eines Burnout-Syndroms schützen kann, lässt sich aus diesem Forschungsstand nicht herauskristallisieren. Dennoch gibt es vielversprechende Präventionsansätze.
4.2.3 Präventionsmaßnahmen gegenüber Burnout
Eine Empfehlung, die aus der derzeitigen Forschung zum Thema Burnout abgeleitet werden kann, ist die, zur Prävention des Syndroms gleichzeitig verschiedene Maßnahmen zu berücksichtigen. Vier große Bereiche für solche Maßnahmen lassen sich hierfür identifizieren (Schaarschmidt, 2008 ).
- Gestaltung der Rahmenbedingungen des Berufes
- Unmittelbare Arbeitsplatzgestaltung
- Verbesserung der Rekrutierungsmaßnahmen und der Vorbereitung des Lehrernachwuchses
- Forderung und Förderung der Entwicklung des pädagogischen Könnens durch die Lehrkräfte selbst.
Zum letzten Punkt können folgende Literaturhinweise dienlich sein:
In ihrem Buch (2007) „Gerüstet für den Schulalltag“ raten Schaarschmidt und Kieschke als Maßnahmen gegen die Entwicklung von Burnout sowohl zu Trainingsprogrammen, die auf die Benutzung von vielen Personen ausgelegt sind, als auch zu individueller Beratung durch Coach oder Therapeuten. Für den betroffenen Leser interessant: Am Ende des Buches können Fragen aus einem Trainingsprogramm eingesehen werden: eine Grundlage für erste Denkanstöße.
Das Trainingsbuch von Rudolf Kretschmann (2002) ist ein Handbuch, dass sich konkret mit dem Stressmanagement im Lehrerberuf beschäftigt und eine Anzahl praktischer Aufgaben stellt, die auch Faktoren des Arbeitsplatzes, die für die Entwicklung von Burnout relevant sind, in den Blick nimmt.
Unter http://www.cct-germany.de kann man verschiedene Angebote der Selbstanalyse in Anspruch nehmen, die darauf abzielen, die Passung zwischen dem Berufswunsch Lehrkraft und der persönlichen Eignung für die Anforderungen, die der Beruf stellt, zu überprüfen.
4.3 Mobbing
.
4.3.1 Definition und Mobbinghandlungen
.
4.3.2 Mobbing im beruflichen Umfeld
.
4.3.3 Folgen von Mobbing und mögliche Prävention
.
5. Schluss
.
6. Literaturempfehlungen
.
7. Literaturverzeichnis
.
8. Übungsfragen
.