6. Integralrechnung

6.1. Grundlagen

Unter der Ordinatenmenge der Funktion \(f : I \rightarrow \mathbb{R}\) auf einem kompakten Intervall I wird die Menge \[{(x, y) \in \mathbb{R}^2 \vert x \in I, f(x) \leq y \leq 0 oder 0 \leq y \leq f(x) } \] verstanden.
Die Menge sortiert also die Wertepaare der Funktion oberhalb und unterhalb der x-Achse. Dafür möchten wir den orientierten Flächeninhalt definieren. Die oberhalb der x-Achse gelegenen Teile mit \( f(x) \leq y \leq 0 \) sollen positiv gerechnet werden, und die Teile mit \( 0 \leq y \leq f(x) \) sollen negativ gerechnet werden.
Die Idee zur Definition des orientierten Flächeninhalts ist einfach: Wir zerlegen das Intervall I in ”viele“ ”kleine“ Teilintervalle \( [x_0, x_1], [x_1, x_2], . . . , [x_{n−1}, x_n] \). Die zu einem Teilintervall \([x_{i-1} - x_i]\) gehörige Ordinatenmenge ist näherungsweise ein Rechteck, falls sich die Funktion f nicht ”zu wild“ verhält. Der Flächeninhalt dieser Menge ist daher ungefähr \(f(x_i \cdot (x_i - x_{i-1}) \). Diese Messgröße trägt bereits das gewünschte Vorzeichen.
Betrachtet wird im Folgenden eine Funktion \(f\), die auf einem abgeschlossenen Intervall \([a,b]\subset\mathbb{R}\) definiert ist. \(f\) sei auf diesem Intervall beschränkt. Dieses Intervall wird in \(n\in\mathbb{N}\) Teilintervalle der Form \([t_{i-1}, t_i]\) zerlegt (\(t_{i-1} < t_i\)). Man spricht dabei von einer Zerlegung \(Z = [t_0 = a; t_1;t_2;...;t_n=b]\) des Intervalls.

Definition 1:

Es sei \([a,b]\) ein echtes kompaktes Intervall. Eine Zerlegung von I ist ein (n+a)-Tupel \[Z = ( x_0, x_1, x_2, ..., x_{n-1}, x_n) \] mit einer beliebigen natürlichen Zahl n und reellen Zahlen \(x_0, x_1, x_2, ..., x_{n-1}, x_n \), die \[x_0 < x_1 < x_2 <...<x_{n-1}< x_n = b\] erfüllen. Die Punkte \(x_{i} \) heißen Teilpunkte der Zerlegung \(Z\), und die positive Zahl \[ \|Z\| := \max_{1 \leq i \leq n} (x_i - x_{i-1}). \] heißt die Feinheit der Zerlegung.

Da \(f\) beschränkt ist, existieren auf jedem Teilintervall \([t_{i-1},t_i]\) Supremum (\(M_i\)) und Infimum (\(m_i\)) von \(f\).

Dann heißen

\[\sum^{n}_{i=1} M_i\cdot (t_i - t_{i-1})\]

Obersumme und 

\[\sum^{n}_{i=1} m_i\cdot (t_i - t_{i-1})\]

Untersumme von \(f\) zur Zerlegung \(Z\)

Mit deren Hilfe lässt sich das Integral definieren:

Definition 2

\(f\) sei eine auf einem abgeschlossenen Intervall \([a,b]\subset\mathbb{R}\) definierte und dort beschränkte Funktion. Ist das Supremum \(S\) aller über \([a,b]\) gebildeten Untersummen gleich dem Infimum \(I\) aller über \([a,b]\) gebildeten Obersummen, so heißt \(S=I\) das bestimmte Integral von \(f\) über dem Intervall \([a,b]\) und wird mit

\[\int^{b}_a f(x)\;dx\]

bezeichnet. In diesem Fall heißt die Funktion \(f\) integrierbar über \([a,b]\).

Es gilt: \(\begin{eqnarray*}\int\limits^a_a f(x)\,\mathrm d{x} & := & 0 \])
Alternative Definition:
In der Schulmathematik werden üblicherweise für die Definition des Integrals äquidistante Zerlegungen verwendet. \([a,b] \subset \mathbb{R}\) wird dafür wie in 5.1 in \(n\in\mathbb{N}\) gleich große Teile zerlegt, wobei \(t_i = a + i\cdot \frac{b-a}{n}, \; i=0,...,n\). Für eine beschränkte Funktion \(f\) bezeichnen wir mit \(O_n\) und \(U_n\) die zugehörigen Ober- und Untersummen, die somit jeweils eine Folge von Summen ergeben. Damit lässt sich das Integral auch als Grenzwert von \(O_n\) bzw. \(U_n\) definieren:

Falls \[ \lim_{n\to\infty} U_n = \lim_{n\to\infty} O_n, \] dann nennt man diese Zahl das bestimmte Integral von \(f\) über \([a,b]\). Sie wird bezeichnet mit: \[ \int^{b}_a f(x)\;dx \] \(f\) heißt in diesem Fall integrierbar über \([a,b]\).

Das folgende Kriterium für Integrierbarkeit ergibt sich direkt aus den Definitionen, stellt aber dennoch ein wichtiges beweistheoretisches Hilfsmittel dar. Bei der Definition können wir eine beliebige Zerlegung voraussetzten, der Satz liefert uns nun auch die Umkehrung.

Satz 1 (Integrabilitätskriterium von Riemann)

\(f\) sei eine auf einem abgeschlossenen Intervall \([a,b]\subset\mathbb{R}\) definierte und dort beschränkte Funktion. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
\( f \)ist Riemann-integrierbar.
und
Für jedes \(\mathcal{E}\) gibt es eine Partition \(P\), für die \(O_n (f,P)-U_n (f,P) < \mathcal{E}\) gilt.

Beispiel händische integration
Wir sehen, es ist äußert aufwendig auf diese weise die Integrierbarkeit zu prüfen und keinesfalls offensichtlich, ob die Ausdrücke \(\int f(\xi)\,\mathrm{d}\xi\) oder \(\int\limits_a^b f(\xi)\,\mathrm{d}\xi\) existieren. Die gute Nachricht ist aber, dass stetige Funktionen, in dem hier vorgestellten Sinne von Riemann, immer integrierbar sind. Es bleibt die Frage, ob einer Funktion \(f\) "angesehen" werden kann, ob sie integrierbar oder nicht integrierbar ist. Zwei Aussagen helfen uns.

Satz 1 (Integrierbarkeit von Funktionen)

  1. Ist \(f\) auf \([a,b]\) monoton und beschränkt, so ist \(f\) auf \([a,b]\) integrierbar.
  2. Ist \(f\) auf \([a,b]\) stetig, so ist \(f\) auf \([a,b]\) integrierbar.


Eine Funktion heißt monoton, wenn sie monoton fallend oder monoton steigend ist.