Nach dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Die deutsche Rechtsordnung besteht aber aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsnormen, wie die folgende Grafik zeigt:

Übersicht Rechtsquellen der Verwaltung

Angesichts dieser Fülle von Rechtssätzen, die von unterschiedlichen Institutionen, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Weise erlassen worden sind, kommt es immer wieder zu Normkollisionen und Wertungswidersprüchen. Der einzelne Organwalter muss aber wissen, welche Normen er anzuwenden hat, damit der Bürger auf eine gerechte und widerspruchsfreie Rechtsordnung vertrauen kann. Daher muss die Vielfalt der Rechtsquellen in ein System gebracht werden, welches die Widersprüche, die zwischen den verschiedenen Rechtsnormen bestehen, durch eine Rangordnung der Rechtsnormen löst.

Dies bewerkstelligen die drei folgenden verwaltungsrechtlichen Grundsätze:

(1) Lex superior derogat legi inferiori (das höherrangige Gesetz beseitigt das niederrangige Gesetz).

(2) Lex posterior derogat legi priori (das spätere Gesetz geht dem früheren Gesetz vor).

(3) Lex specialis derogat legi generali (das speziellere Gesetz geht dem allgemeinen Gesetz vor).


Ein Organwalter, der wegen widersprüchlichen Rechtsvorschriften nicht weiß, wie er den Sachverhalt, den er zu bearbeiten hat, entscheiden soll, muss daher zunächst einmal die Rangordnung der in Betracht kommenden Vorschriften klären. Wird der Sachverhalt durch eine hochrangige Norm geregelt, darf er allein diese anwenden und hat die niederrangigen Vorschriften zu ignorieren.

Daher stellt sich die Frage, welche Normen auf welcher Rangordnung einzuordnen sind. An oberster Stelle stehen die Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Dies liegt darin begründet, dass die Mitgliedstaaten der EU, also auch Deutschland, Hoheitsrechte an die Institutionen der EU abgetreten haben und die Funktionsfähigkeit der EU beeinträchtigt wäre, wenn der nationale Gesetzgeber gemeinschaftsrechtliche Regelungen beliebig durch eigene Rechtsvorschriften durchkreuzen könnte. Auf nationaler Ebene geht die Verfassung den formellen Gesetzen des Bundes vor. Danach folgen die Rechtsverordnungen und Satzungen des Bundes. Da gem. Art. 31 GG Bundesrecht Landesrecht bricht, ist erst dann Landesrecht anzuwenden, wenn der Sachverhalt nicht durch eine Rechtsvorschrift des Bundes geregelt ist. Widerspricht also z.B. ein Gesetz des Bayerischen Landtages einer Satzung des Bundes, darf die Verwaltung das bayerische Gesetz nicht anwenden, sondern muss die Satzung des Bundes beachten.

Übersicht Normenhierarchie

Problematisch ist aber, ob und wo Verwaltungsvorschriften und Gewohnheitsrecht auf der Rangordnungspyramide eingeordnet werden können.

1. Verwaltungsvorschriften

Verwaltungsvorschriften sind Anordnungen, die innerhalb einer Verwaltungsorganisation von einer übergeordneten Verwaltungsinstanz oder einem Vorgesetzten an nachgeordnete Verwaltungsbehörden oder Bedienstete ergehen. Anders als Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen verlassen Verwaltungsvorschriften nicht den Rechtskreis der Verwaltung und sind daher mangels Außenwirkung nicht als Rechtsnorm einzustufen. Deshalb stellen sie keine unmittelbare Rechtsquelle des Verwaltungsrechts dar. Da aber die Gesetze, Verordnungen und Satzungen, die von der Verwaltung anzuwenden sind, in der Regel keine konkreten Sachverhalte regeln, sondern generell gehalten sind und unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, müssen sie ausgelegt und konkretisiert werden. Dies erfolgt durch die Verwaltungsvorschriften. Sie dienen somit dazu, eine einheitliche und sachgerechte Rechtsanwendung durch die Verwaltung zu gewährleisten. Die Verwaltung ist zur Beachtung der Verwaltungsvorschriften verpflichtet. Diese Verpflichtung beruht auf dem hierarchischen Aufbau der Verwaltung.

Fraglich ist aber, ob auch die Gerichte an die Verwaltungsvorschriften gebunden sind oder ob sie die unbestimmten Rechtsbegriffe unabhängig von den ergangenen Verwaltungsvorschriften auslegen und konkretisieren dürfen. Die Beantwortung dieser Frage hat für den Rechtsschutz des Einzelnen gegen Maßnahmen der Verwaltung erhebliche Bedeutung und ist juristisch umstritten. Grundsätzlich gilt, dass Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG den Gerichten die Verpflichtung zur uneingeschränkten Überprüfung des Verwaltungshandelns, also auch der Verwaltungsvorschriften, zuweist. Dies liegt darin begründet, dass Verfasser von Verwaltungsvorschriften anders als der parlamentarische Gesetzgeber nicht unmittelbar demokratisch legitimiert sind, d.h. eine Kontrolle durch den Wähler nicht erfolgt. Deshalb darf der Verwaltung nur in Ausnahmefällen ein begrenzter Entscheidungsfreiraum, der nicht gerichtlich voll überprüft werden kann, zugebilligt werden und zwar dann, wenn aufgrund der geregelten Materie bzw. der von der Behörde zu beurteilenden Situation die gerichtliche Kontrolle an ihre Funktionsgrenzen stößt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die geregelte Materie besonders komplex oder dynamisch ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Festlegung von Grenzwerten im Umweltrecht, die aufgrund einer Prognoseentscheidung und Risikobewertung der Verwaltung erfolgt, die die Gerichte nur bedingt nachprüfen können. Daher sind in diesen Bereichen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften anerkannt, deren Zweckmäßigkeit ausnahmsweise nicht gerichtlich überprüft werden kann. Ein Beispiel für eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift ist etwa die Technische Anleitung TA-Lärm.

2. Gewohnheitsrecht

Anders als formelle Gesetze, die von einem Staatsorgan in einem rechtlich geregelten Verfahren beschlossen, schriftlich festgelegt und öffentlich bekanntgegeben werden, handelt es sich beim Gewohnheitsrecht um ungeschriebenes Recht, das aufgrund langer tatsächlicher Übung und durch allgemeine Anerkennung seiner Verbindlichkeit im Sinne einer Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit der Übung entstanden ist. Obwohl es sich hierbei also um keine geschriebene Rechtsquelle des Verwaltungsrechts handelt, ist das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle des Verwaltungsrechts auf fast allen Rechtsordnungsebenen anerkannt und muss entsprechend der jeweiligen Entstehung und Reichweite in die Rangordnung eingefügt werden. Wegen der Vielzahl der geschriebenen Rechtsordnungen kommt dem Gewohnheitsrecht heutzutage aber nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu.






Modifié le: mardi 15 décembre 2009, 15:09