4. Empirische Befunde

4.2 Umwelteinflüsse

Auch Umwelteinflüsse lassen sich mithilfe von Zwillings- und Adoptionsstudien nachweisen. Bereits die oben beschriebenen, als Beleg für genetische Einflüsse verwendeten Studien verdeutlichen den Einfluss von Erfahrungen. Die Intelligenzkorrelationen liegen bei den getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen, wie in 4.1 schon genannt, etwa bei 0.70, sodass auch nach Abzug der Fehlervarianz durchaus noch substanzielle Varianzanteile verbleiben, die nur durch Umwelterfahrungen erklärbar sind. Darüber zeigen die erhöhten Korrelationen bei gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen, dass sie sich ähnlicher sind, was auf deren gemeinsame Umwelt zurückzuführen sein wird. In der Adoptionsstudie von Scarr und Weinberg (1983) ergaben sich neben den Korrelationen zwischen den Kindern und ihren biologischen verwandten Eltern und Geschwistern zwar geringe, aber trotzdem statistisch bedeutsame Korrelationen zwischen den Adoptivkindern und ihren Adoptiveltern und -geschwistern (s.o.).

Viel deutlicher zeigen sich Umwelteinflüsse, wenn man Mittelwertvergleiche vornimmt. Dazu gibt es zum einen interessante Befunde aus der rassenübergreifenden Adoptionsstudie von Scarr und Weinberg (1976), die ausgehend von Diskussionen über die rassenspezifisch interpretierte genetische Einflüsse in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Intelligenz-entwicklung von schwarzen Kindern untersuchten, die von weißen Familien adoptiert worden waren, und die IQ-Mittelwerte dieser Kinder mit denen der Adoptiveltern verglichen (vgl. Abb. 4.3).

Abbildung 4.3: Intelligenzquotienten von schwarzen Kindern, die in weiße Familien adoptiert wurden (im Vergleich zu den IQs der Adoptiveltern und Adoptivgeschwister und schwarzer Kinder sonst)

Zunächst zeigte sich, dass die Adoptiveltern überdurchschnittliche Intelligenzquotienten hatten, was in Anbetracht der Selektionskriterien von Adoptionsvermittlungsstellen nicht weiter verwunderlich ist. Auch die durchschnittlichen IQs der leiblichen Kinder dieser Adoptiveltern lagen (nicht weiter überraschend) etwa eine Standardabweichung über dem Mittelwert. Die IQs der schwarzen Adoptivkinder waren überdurchschnittlich und lagen mit etwa 110 ziemlich nahe an den Intelligenzquotienten der Mitglieder der Adoptionsfamilie. Dies ist insbesondere interessant und aufschlussreich, wenn man berücksichtigt, dass der Durchschnitts-IQ von schwarzen Kindern im Amerika der 60er- bzw. 70er-Jahre etwa bei 90 lag. Die schwarzen Adoptivkinder wiesen also im Durchschnitt einen IQ-Anstieg von mehr als einer Standardabweichung auf, wenn sie in einer förderlichen Umgebung aufwuchsen, die aufgrund der sozioökonomischen Situation und dem Bildungsstand weißer Familien von diesen besser gewährleistet werden konnte.

Vergleichbare Befunde ergaben sich aus einer französischen Adoptionsstudie (Schiff, Duyme, Dumaret & Tomkiewicz, 1982), in der die Intelligenz von aus der Unterschicht stammenden Adoptivkindern, die von Familien aus der Oberschicht adoptiert worden waren, untersucht wurde und mit IQs der in der Ursprungsfamilie verbliebenen biologischen Geschwister der Adoptivkinder verglichen wurde. Die Intelligenzquotienten der Adoptivkinder lagen mit 115 deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt, während die IQs der biologischen Geschwister unterdurchschnittlich (bei etwa 93) lagen. Vergleichbare Ergebnisse lieferten Analysen von Schulleistungsproblemen, die bei den Adoptivkindern eher selten und bei den biologischen Geschwistern überdurchschnittlich häufig auftraten.

Zusammenfassend kann also konstatiert werden, dass IQ-Werte von Adoptivkindern mehr denen der Adoptiveltern als denen der biologischen Eltern gleichen und dass sich mit günstigeren Umweltbedingungen in der Adoptionsfamilie im Vergleich zur biologischen Familie auch eine verbesserte Intelligenzentwicklung ergibt. Daraus wird deutlich, dass Umweltprozesse für die Entstehung von Intelligenzunterschieden eine wesentliche Bedeutung haben.