Modelle der Persönlichkeit, Entwicklung der Persönlichkeit
3. Lerntheoretische Modelle
Die lerntheoretischen Modelle unterscheiden sich deutlich von den psychodynamischen, da sie nicht (unbewusste) Gedanken und Gefühle in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sondern sich mit direkt beobachtbarem (und damit auch objektiv messbarem) Verhalten von Menschen in aktuellen Situationen beschäftigen.
Die Lerntheoretiker (Behavioristen) gehen davon aus, dass das Verhalten eines Menschen das Ergebnis von Lernprozessen ist und dass das grundlegende Verhalten bzw. überdauernde Verhaltenstendenzen verantwortlich für die Persönlichkeit eines Menschen sind.
Da das Verhalten in gewisser Weise als Anpassung auf Belohnung und Bestrafung aus der Umwelt gesehen wird, ist die Umwelt in großen Teilen verantwortlich dafür, welches Verhalten gelernt wird und welche Eigenschaften ein Individuum ausprägt. Individuelle Unterschiede zwischen Personen würden demnach als unterschiedliche Verhaltensstile interpretiert, die auf der Grundlage der erlebten Belohnungsmuster ausgeprägt wurden. Wie weitreichend diese Annahmen sind, kommt in dem bekannten Zitat von John B. Watson (1878 – 1958) aus dem Jahr 1930 (S. 123) zum Ausdruck:
Abbildung 8.6: John Watson
"Gebt mir ein Dutzend gesunde, wohlgebildete Kinder und meine eigene Umwelt, in der ich sie erziehe. Ich garantiere Ihnen, dass ich blindlings eines von ihnen auswähle und es zum Vertreter irgend eines Berufes erziehe, sei es Arzt, Richter, Künstler, Kaufmann oder auch Bettler, Dieb - ohne Rücksicht auf seine Talente, Neigungen, Fähigkeiten, Anlagen, Rasse oder Vorfahren." (S. 123)
In Watsons Vorstellung war der Mensch eine Art "Tabula Rasa", der im Verlauf seines Lebens durch Konditionierungsprozesse und durch die Bildung von Gewohnheiten eine Persönlichkeit ausbildete. Er verstand die Persönlichkeit also als das Endprodukt von Gewohnheitssystemen bzw. Lernerfahrungen und hielt die psychoanalytische Deutung von Ängsten als unbewusste Konflikte für falsch.
Abbildung 8.7: Burrhus F. Skinner
Der Lerntheoretiker Burrhus F. Skinner (1904–1990; z. B. Skinner, 1982) zeigte in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit von Verstärkerplänen auf, die bei bestimmten Frequenzen von Belohnung und Bestrafung unterschiedliche Konsequenzen im Verhalten hervorrufen.
Im menschlichen Verhalten lässt sich dies an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Eltern, die dem Quengeln ihres Kindes an der Supermarktkasse gelegentlich (intermittierend) nachgeben und es mit Süßigkeiten "belohnen", werden aller Wahrscheinlichkeit nach bei den folgenden Supermarktbesuchen mit weiterem Quengeln zu kämpfen haben. Geben sie jedoch nicht nach, so lernt das Kind, dass das Quengeln an der Kasse zwecklos ist und stellt dieses ein.
An den Ideen der Psychodynamiker übte Skinner scharfe Kritik, weil diese nicht überprüfbare Annahmen verwendeten und sich nicht auf direkt beobachtbares Verhalten bezogen.
Die lerntheoretische Perspektive imponiert durch ihre Verpflichtung zur systematischen Forschung und zur Entwicklung von Theorien, wobei situations- und umweltbedingten Variablen eine gewichtige Rolle zugeschrieben wird. Ihre Elemente kommen noch heute in der Verhaltenstherapie psychischer Störungen zum Einsatz.
Andererseits stellt der Behaviorismus eine übermäßige Vereinfachung der Persönlichkeit dar. Viele Phänomene lassen sich auf dieser Basis nur unzureichend erklären.
Abbildung 8.8: Albert Bandura
Auf der Basis der (reinen) Lerntheorie entwickelte der Psychologe Albert Bandura seine sozial-kognitive Theorie (z. B. Bandura, 1979). Er ging davon aus, dass zwar einige Verhaltensweisen über Konditionierungsprozesse erworben werden, andere, wie beispiels-weise das Erlernen der Sprache, aber zu komplex sind, um sie über diese einfachen Mechanismen zu erklären. Hierfür räumte Bandura dem Modell- oder Imitationslernen große Bedeutung ein. Modelle müssen allerdings nicht zwingend andere Personen sein, Bandura betrachtete jede Repräsentation eines Verhaltensmusters als Modell. Ein Modell kann also ebenso eine Romanfigur, eine Person auf einem Werbeplakat oder eine schematische Abbildung sein.
Im Gegensatz zu Watson und Skinner sah Bandura den Menschen als Agenten, als Handelnden und Verantwortlichen mit Handlungsabsichten, Plänen und Erwartungen sowie der Fähigkeit zur Selbstreflexion an und nicht nur als jemanden, auf den Erfahrungen und Umwelteinflüsse einwirken. So lässt sich beispielsweise die Aufnahme eines Studiums nicht über unmittelbare Konditionierungsprozesse erklären, sondern vielmehr über die Annahme von Zielen und Gefühlen der Selbstwirksamkeit, also der Überzeugung, den Lauf der Dinge durch das eigene Handeln beeinflussen zu können.
Eine weitere Besonderheit an Banduras Theorie war die von ihm postulierte Wechselwirkung zwischen Verhalten, Persönlichkeitsmerkmalen und Umwelt. Beispielsweise sorgt die Persönlichkeit eines Menschen dafür, dass dieser sich bestimmte Umwelten (z. B. ein Hobby, ein Studienfach etc.) aussucht und anders herum wird die Umwelt das Verhalten und die Persönlichkeit beeinflussen. Diese Sichtweise wird im Übrigen auch in der heutigen Forschung vertreten.
Bezüglich der Entwicklung der Persönlichkeit räumte Bandura dem Modelllernen eine wichtige Rolle ein. Er ging davon aus, dass eine Person entweder direkte äußere Konsequenzen erfährt (z. B. Bestrafung für ein bestimmtes Verhalten), oder stellvertretende, wenn sie dem Modell bei einem Verhalten zuschaut, für das es entweder belohnt oder bestraft wird. Diese Annahmen wurden in seinem bekannten Experiment mit der Bobo-Puppe bestätigt.
In einer abschließenden Bewertung lässt sich festhalten, dass Banduras sozialkognitive Theorie eine wichtige Brücke zwischen behavioristischen und stärker kognitiv geprägten Theorien bildet. Die behavioristischen Wurzeln zeigen sich dabei in den Annahmen der Konditionierungsprozesse, die kognitive Ausrichtung spiegelt sich in der Annahme der Selbstregulation und den dazu gehörigen geistigen Fähigkeiten wider.
Jedoch ist der Gültigkeitsbereich von Banduras Theorie eingeschränkt, er beschreibt zwar einige wichtige Phänomene, lässt jedoch viele andere außen vor.
Im Folgenden sollen nun rein kognitiv ausgerichtete Theorien betrachtet werden, also solche, die sich in erster Linie auf innere (geistige) Prozesse beziehen.