Intelligenz II: Anlage/Umwelt
4. Empirische Befunde
4.1 Genetische Einflüsse
Studien mit eineiigen Zwillingen, die getrennt aufwuchsen, zeigen sehr deutlich recht hohe Korrelationen in den Intelligenzquotienten im Bereich von etwa r = .70 (s. Abb. 4.1), und zwar recht zuverlässig nicht nur in eher historischen, methodisch teilweise problematischen Studien (z.B. Newman, 1998), sondern auch in neueren methodisch abgesicherten Studien (z.B. Bouchard, Lukken, McGue, Segal & Tellegen, 1990; Pedersen et al., 1992). Eineiige Zwillinge sind sich also auch dann recht ähnlich in der Intelligenz, wenn sie getrennt aufwachsen. Das deutet stark auf genetische Einflüsse hin, wobei natürlich zu berücksichtigen ist, dass auch in diesen Fällen nicht auszuschließen ist, dass sich die Umwelten ähneln bzw. eine gemeinsame Umwelt in der pränatalen Entwicklungsphase offensichtlich gegeben ist. Auch der Vergleich eineiiger mit zweieiigen Zwillingen zeigt deutlich, dass sich eineiige Zwillinge erwartungsgemäß viel ähnlicher als zweieiige sind. So fanden McCartney et al. (1937) in einer Metaanalyse erheblich höhere Erblichkeitskoeffizienten bei den eineiigen Zwillingen (0.81 vs. 0.59).
Abbildung 4.1: Korrelationen in der Intelligenz von getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen
Hinweise auf genetische Einflüsse ergeben sich auch aus Adoptionsstudien, wenn man die Intelligenzquotienten von Adoptivkindern mit denen ihrer biologischen Eltern und Geschwister vergleicht (s. Abb. 4.2; vgl. Scarr & Weinberg, 1983). Die Korrelationen zwischen Adoptivkindern und ihren biologischen Eltern liegen mit etwa r = .30 auf einem ähnlichen Niveau wie die Korrelationen bei Kindern, die mit ihren biologischen Eltern aufwachsen, und sie sind höher als die Korrelationen im IQ zwischen Adoptivkindern und ihren Adoptiveltern (r = 0.20). Ein vergleichbares Bild, allerdings auf einem höheren Niveau, ergibt sich beim Vergleich von Adoptivkindern mit biologischen im Vergleich zu Adoptivgeschwistern.
Abbildung 4.2: Korrelation im IQ zwischen Kindern und ihren Eltern und Geschwistern (nach Scarr & Weinberg, 1983)
Diese Korrelationsstudien, sowohl aus Zwillings- als auch aus Adoptionsstudien, verweisen also zuverlässig und deutlich auf genetische Kovariationen zwischen Eltern und Kindern, die auch nach Kontrolle von Umwelteinflüssen bestehen bleiben. Genetische Faktoren haben somit eine nennenswerte Bedeutung für die Entstehung von Intelligenzunterschieden.
In der molekulargenetischen Forschung hat man mittlerweile die Suche nach "Intelligenzgenen" aufgenommen, die durchaus zur Identifikation von Allelen geführt hat, die mit Intelligenz assoziiert sind. Allerdings waren dies einerseits Allele, die sehr selten auftreten und deswegen nur einen geringen Varianzanteil aufklären, die andererseits aber als Korrelate der Intelligenz nicht zuverlässig repliziert werden konnten (z.B. Petrill et al., 1997; Plomin et al., 1994), sodass die Suche nach Intelligenzgenen aktuell noch nicht weit gekommen ist (vgl. Deary, Penke & Johnson, 2010).