Intelligenz II: Anlage/Umwelt
1. Einleitung
1.2 Begriffsklärung
In dieser Lehreinheit geht es um den Einfluss von Anlage und Umwelt auf die Intelligenzentwicklung, d.h. um die Frage, ob Intelligenzunterschiede vererbt werden oder aufgrund besonderer Erfahrungen entstehen. Die Erbinformation ist im Genom enthalten, welches – beim Menschen organisiert in 23 Chromosomenpaaren – aus vielen lokalen Abschnitten der Doppelhelix (den Genen) besteht, die in unterschiedlichen Varianten (den Allelen) auftreten können. Der Genotyp eines Individuums ist die Gesamtmenge seiner genetischen Erbinformation. Demgegenüber beschreibt der Phänotyp die äußere Erscheinung eines Individuums, welche aus Genotyp und Umwelt resultiert. Häufig wird auch der Begriff "angeboren" verwendet, der aber eher problematisch zu fassen ist. Angeboren sind Verhaltensweisen oder psychische Merkmale, die man bei der Geburt vorfindet. Diese müssen nicht notwendigerweise vererbt sein, da bereits in der pränatalen Entwicklung auch Erfahrungsprozesse eine wesentliche Rolle spielen.
Bei der vorliegenden Thematik geht es nicht darum, ob Intelligenz per se genetische Grundlagen hat. Dies ist selbstverständlich der Fall, da unsere Verhaltens- und Erlebens-kompetenzen auf somatischen Strukturen (insbesondere des Gehirns, aber auch anderer Organe) basieren, die sich entsprechend einem speziesspezifischen genetischen Programm entwickeln. Es geht vielmehr darum, inwieweit wir Unterschiede in der Intelligenz erklären können.
Zur Klärung dieser Frage werden unterschiedliche Forschungsparadigmen verwendet. Im Rahmen des verhaltensgenetischen Paradigmas werden Personen unterschiedlicher gene-tischer Verwandtschaft miteinander verglichen und es wird geprüft, inwieweit Ähnlichkeiten in psychologischen Merkmalen mit dem Ausmaß der genetischen Verwandtschaft kovariieren. Letztlich kann man dann berechnen, wie viel Prozent der Varianz (der Unter-schiede zwischen Personen) genetisch erklärbar ist (ausgedrückt im Erblichkeits-koeffizienten, dem sog. h2) und wie viel auf Umwelteinflüsse (oder ggf. Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelteinflüssen) zurückzuführen ist. Die molekulargenetische Forschung ermöglicht es mittlerweile, spezifische genetische Merkmale (sog. Polymor-phismen) zu identifizieren. Hier kann versucht werden, herauszufinden, ob sich Personen mit bestimmten genetischen Merkmalen in spezifischen psychologischen oder Verhaltens-merkmalen unterscheiden.