Einwilligung

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Kurs: vhb - Medizinstrafrecht - Demo
Buch: Einwilligung
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Datum: Freitag, 3. Mai 2024, 09:42

1. Die Rechtswidrigkeit des Heileingriffs

Der Heileingriff erfüllt zwar den Tatbestand der Körperverletzung. Er ist jedoch in der Regel durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt. Der Arzt ist dann nicht strafbar.

2. Umfang der Einwilligung

Die Einwilligung umfasst alle Risiken, die bei einer kunstgerechten Heilbehandlung eintreten können. Sobald aber der Arzt nicht lege artis handelt oder einen nicht indizierten Eingriff vornimmt, entfällt die Wirkung der Einwilligung. Ein solcher Eingriff ist nicht mehr gerechtfertigt und als Körperverletzung strafbar.

3. Ausdrückliche und stillschweigende Einwilligung

Die Einwilligung kann ausdrücklich oder stillschweigend durch konkludentes Verhalten erklärt werden. Der Patient muss also gegenüber dem Arzt nicht wortwörtlich sagen „Ich bin damit einverstanden“. Es genügt wenn er durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er die Heilbehandlung so, wie er darüber aufgeklärt wurde, akzeptiert.


4. Einwilligungsfähigkeit

Notwendige Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. 

Die Einwilligungsfähigkeit setzt sich aus zwei Komponenten, nämlich der Einsichts- und Entschlussfähigkeit zusammen. Der Patient muss in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) und zudem die Fähigkeit besitzen, sich nach seiner Einsicht zu entscheiden (Entschlussfähigkeit).

5. Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen

Minderjährige können wirksam in die Behandlung einwilligen, wenn sie die erforderliche geistige und sittliche Reife besitzen. Bei Kindern unter 14 Jahren wird in aller Regel angenommen, dass dies nicht der Fall ist. Sie sind also nicht einwilligungsfähig. 


6. Einwilligungsfähigkeit von Jugendlichen

Problematisch ist die Einwilligung bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Hier gilt grundsätzlich, dass je geringfügiger der Eingriff und seine möglichen Folgen sind, desto eher die Einwilligungsfähigkeit angenommen werden kann. Gleichzeitig gilt, dass je näher der Patient der Volljährigkeit ist, desto eher die Einwilligungsfähigkeit angenommen werden kann. So wird bei leichten Eingriffen, z.B. einer Blutentnahme, die Einwilligungsfähigkeit generell ab dem 16. Lebensjahr angenommen. Aber auch bei 14 bis 15 jährigen kann sie unter Umständen schon bejaht werden. 


7. Einwilligung des gesetzlichen Vertreters

Ist der Minderjährige voll einsichtsfähig, so ist allein sein Wille maßgeblich. Der entgegenstehende Wille der gesetzlichen Vertreter, in der Regel der Eltern, ist dann unerheblich. Fehlt die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einzuholen.


8. Anforderungen an die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter I

In der Regel teilen sich die Eltern das Sorgerecht und müssen dann beide mit der Behandlung einverstanden sein. Dabei unterscheidet die Rspr. nach der Schwere des Eingriffs.


9. Anforderungen an die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter II

Bei leichten Eingriffen darf sich der Arzt auf die Ermächtigung des einen Elternteils durch den anderen verlassen. Bei mittelschweren Eingriffen muss er sich vergewissern, dass der abwesende Elternteil der Behandlung in vollem Umfang zustimmt. 

Bei schweren Eingriffen, die schwierige und weitreichende Entscheidungen sowie erhebliche Risiken für das Kind mit sich bringen, muss sich der Arzt sichere Gewissheit darüber verschaffen, dass beide Elternteile der Behandlung zustimmen. 


10. Entzug des Einwilligungsrechts der Eltern

Aus den Medien allgemein bekannt sind die Fälle, in denen Eltern aus religiösen Gründen ihren Kindern lebensnotwendige Bluttransfusionen oder Organtransplantationen verweigern. Dann kann ihnen das Recht zur Einwilligung für diese Behandlung entzogen werden. Die Einwilligung wird dann vom Ergänzungspfleger erteilt, der durch das zuständige Gericht bestimmt wurde.

11. Einwilligung für den einwilligungsunfähigen Volljährigen

Ist der Volljährige einwilligungsunfähig (z.B. wegen Bewusstlosigkeit, Betäubung, psychischer Erkrankung) dann muss der Arzt nach dem mutmaßlichen Patientenwillen handeln (mutmaßliche Einwilligung, vgl. Thema 2). Bei nicht dringenden Eingriffen ist außerdem nach §§ 1896, 1904 BGB die Bestellung und Übertragung der Entscheidung auf einen Betreuer möglich.


12. Willensmängel

Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln sein, das heißt sie darf nicht auf Drohung, Zwang, Täuschung oder einem Erklärungsirrtum beruhen. Reine Motivirrtümer, wie z.B. Fehleinschätzungen der Qualifikation des Arztes, sind dagegen in der Regel unbeachtlich, es sei denn, die Minderqualifikation erhöht das Risiko eines gefährlichen Eingriffs.


13. Rechtsfolgen der Willensmängel

Eine Einwilligung, die auf Willensmängeln beruht, verstößt gegen die Patientenautonomie und führt damit grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der Tat. Der Arzt handelt aber schuldlos, wenn er den Willensmangel nicht kannte (Erlaubnistatbestandsirrtum) oder wenn er glaubte, dass auch eine Einwilligung, die auf Willensmängeln basiert, wirksam ist (Erlaubnisirrtum - nur beachtlich wenn unvermeidbar, § 17 StGB).


14. Sonderproblem - Heimliche HIV Tests I

Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch die Fälle der heimlichen HIV-Tests. 

Hier ist zu unterscheiden: Wird die Blutentnahme allein mit dem Ziel der Durchführung eines HIV-Tests vorgenommen und dem Patienten vorgespielt, es handele sich um eine Blutentnahme für einen anderen Zweck, so liegt hierin eine Täuschung, die die Einwilligung unwirksam macht.


15. Sonderproblem - Heimliche HIV Tests II

Erteilt der Patient eine allgemeine Einwilligung, die sich auf die Durchführung aller für die konkrete Heilbehandlung notwendigen Tests erstreckt, so ist nach überwiegenden Ansicht der HIV-Test jedenfalls dann nicht in diese Einwilligung einbezogen, wenn sich in der Anamnese keine Anhaltspunkte für eine HIV-Infektion ergaben. Auch in diesem Fall ist die Einwilligung also unwirksam.


16. Sittenwidrigkeit des Eingriffs

Eine Rechtfertigung durch eine Einwilligung ist nur möglich, wenn der Eingriff nicht sittenwidrig ist (§228 StGB). Sittenwidrig ist die Tat nach allgemeiner Definition, wenn sie dem "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" widerspricht. Da die Formel sehr unpräzise ist, ist eine klare Abgrenzung oft problematisch. Entscheidend sind die mit dem Eingriff verbundenen Ziele und der Zweck des ärztlichen Handelns.


17. Beispiele für Sittenwidrigkeit I

Sittenwidrig sind z.B. objektiv schädigende Eingriffe, mit denen kein sinnvoller oder sogar ein objektiv verwerflicher Zweck verfolgt wird, wie eine Verstümmelung zum Zwecke eines Versicherungsbetrugs. Sittenwidrig wären aber auch eine extreme, gesundheitsschädliche Brustvergrößerung oder erhebliche Gesichtsveränderungen mit schlechter Langzeitprognose.


18. Beispiele für Sittenwidrigkeit II

Im sog. Fesselungs-Fall (BGH St 49, 166) befasste sich der BGH mit den Grenzen der Einwilligung. Er kam zu dem Ergebnis, dass bei der einverständlichen Vornahme sadomasochistischer Praktiken nicht per se von einem Verstoß gegen die guten Sitten ausgegangen werden. Vielmehr ist die Tat nur dann sittenwidrig, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.