Körperverletzung und Heilbehandlung

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Buch: Körperverletzung und Heilbehandlung
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Datum: Montag, 29. April 2024, 02:25

1. Einführung

Bei der Behandlung des Patienten greift der Arzt auf vielfältige Weise in die körperliche Integrität des Patienten ein, z.B. durch Blutentnahme, Verschreibung von Medikamenten oder Operationen. Dadurch kann er den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB) verwirklichen. 


2. Mögliche Straftatbestände

In Betracht kommen die Grundtatbestände Totschlag oder Körperverletzung. Sie können entweder vorsätzlich (§§ 212, 223 StGB) oder fahrlässig (§§ 222, 229 StGB) begangen werden. Auch eine der Abwandlungen könnte erfüllt sein (z.B. gefährliche, schwere Körperverletzung, §§ 224, 226 ff. StGB, Tötung auf Verlangen, § 216 StGB).


3. Körperverletzung nach § 223 StGB

Die Strafbarkeit wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB hat folgende Voraussetzungen

1) Tatobjekt: Mensch (Beginn des Geburtsaktes bis zum Hirntod), 

2) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung, 

3) Kausalität und objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs, 

4) Vorsatz, Rechtswidrigkeit (Einwilligung, § 34 StGB), Schuld (§§ 17, 35 StGB).


4. Körperliche Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung

Eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 StGB wird definiert als jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden und die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. 

Unter Gesundheitsbeschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen (krankhaften) Zustands.


5. Körperverletzung bei Gefährdung I

§ 223 StGB  ist nicht schon bei einer Gefährdung zu bejahen (Bsp.: Verschreibung von Medikamenten, die aber noch keine Nebenwirkung entfalten). Wenn keine tatsächliche körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung vorliegt, sondern lediglich eine potentiell gefährliche Behandlung durchgeführt wird, liegt keine Strafbarkeit vor. Anders hat der BGH entschieden, der die Körperverletzung bei einer Bestrahlung bejahte, bei der keine konkreten Schäden eingetreten sind (vgl. BGH, NJW 1998, 833).


6. Körperverletzung bei Gefährdung II

Die Begründung des BGH lautet: Da eine Bestrahlung Nebenwirkungen haben kann, ist auch dann § 223 StGB zu bejahen, wenn sie nicht eingetreten sind, da mögliche Spätfolgen „nicht auszuschließen seien“. Damit wird das Erfolgsdelikt in ein Gefährdungsdelikt umgedeutet, was mehr als zweifelhaft erscheint. Der Arzt ist damit schon für Aufklärungsmängel und für die Schaffung einer Gefahr für den Eintritt von Spätfolgen, nicht erst für Verletzungen strafbar.


7. Definition der Heilbehandlung

Eine ärztliche Heilbehandlung ist eine in die Integrität des Körpers eingreifende Behandlung, die vorgenommen wird, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern. Sie dient der Verbesserung der Gesundheit. Daher ist umstritten, ob sie den Tatbestand der Körperverletzung überhaupt erfüllt.

8. Anderen Zwecken dienende Behandlung

Von der Heilbehandlung zu unterscheiden ist die anderen Zwecken dienende ärztliche Behandlung, wie z.B. Schönheits- OP, Doping, Schwangerschaftsabbruch, Sterilisation etc. Diese erfüllen auf jeden den Tatbestand der Körperverletzung. Auch als Gesamtakt dienen sie nicht dazu, die Gesundheit des Patienten zu bessern. 


9. Der Heileingriff als Körperverletzung - Ansicht des Schrifttums

Nach einer Ansicht ist der ärztliche Heileingriff keine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung, da durch ihn letztlich der Körperzustand verbessert oder gewahrt wird. Dies gilt auch dann, wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert. Der Arzt begeht nach dieser Ansicht keine Körperverletzung, wenn er den Eingriff „lege artis“ zum Wohle des Patienten vornahm. 

10. Ärztliches Handeln lege artis

Die Regeln der ärztlichen Kunst (leges artis) sind ein häufiges Kriterium im Medizinstrafrecht. Es bedeutet Handeln nach den anerkannten Regeln ärztlicher Kunst. Der Arzt muss die Sachlage im Zeitpunkt des Eingriffs richtig beurteilen und nach „medizinischem Standard“ handeln. Dieser Standard ist das in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlich befähigten Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können.

11. Heileingriff als Körperverletzung - Ansicht der Rechtsprechung

Nach der Rechtsprechung ist jeder ärztliche Eingriff eine tatbestandsmäßige Körperverletzung. Es gibt keinen rechtlichen Grund für die Einschränkung der Tatbestandsmäßigkeit, insbesondere reichen der „gute Wille“ und das positive Ergebnis der Handlung dafür nicht. Lediglich die Rechtswidrigkeit könne, z.B. wegen (mutmaßlicher) Einwilligung, entfallen (RGSt 25, 375; BGHSt 11, 111).


12. Heileingriff als Körperverletzung - Entscheidung des Meinungsstreits

Der Rechtsprechung ist zu folgen. Als Begründung werden u.a. angeführt: 

1) Das Handeln verletzt den Körper des Patienten, der Einzelakt ruft einen pathologischen Zustand hervor - dies muss in der Prüfung berücksichtigt werden. 

2) Der Patient ist vor eigenmächtigen Eingriffen und Verletzung des Selbstbestimmungsrechts zu schützen, indem nur seine Einwilligung den Arzt rechtfertigen kann.

13. Heileingriff als Körperverletzung: Zusätzliche Argumente für die Rechtsprechung

1.) Die Ansicht der Literatur wirft folgende schwer zu beantwortende Frage auf: Wo sollte die Grenze zwischen Noch-nicht-Körperverletzung und Gerade-schon-Körperverletzung gezogen werden?

2.) Die eigenmächtige Heilbehandlung kann nach Ansicht der Literatur nur nach §§ 239, 240 StGB (Freiheitsberaubung, Nötigung) bestraft werden, die aber nur einen kleinen Ausschnitt der strafwürdigen und strafbedürftigen Fälle ärztlichen Handelns ohne Einwilligung des Patienten erfassen.

14. Der subjektive Tatbestand der Körperverletzung

Der subjektive Tatbestand setzt den Vorsatz voraus. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Da der Arzt die Behandlung wissentlich und willentlich vornimmt, liegt der Vorsatz vor.