Lerninhalte - Hilfen zur Erziehung [Auswahl]

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Buch: Lerninhalte - Hilfen zur Erziehung [Auswahl]
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Datum: Freitag, 22. November 2024, 08:05

Beschreibung

Unter dem Begriff der "Hilfen zur Erziehung" werden verschiedene individuelle und/oder therapeutische Maßnahmen zusammengefasst. Dabei handelt es sich um die "klassische" Einzelfallhilfe für Kinder und Jugendliche. In diesem Kapitel wird ein Überblick gegeben und die Grundvoraussetzungen dafür vorgestellt.

Grundnorm, § 27 Abs. 1 SGB VIIII

Grundnorm für den Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung i.S.d. §§ 28 - 35 SGB VIII ist der § 27 SGB VIII. Dieser ist Voraussetzung für alle Varianten der Hilfe zur Erziehung.

Es müssen für die Hilfeerbringung nach §§ 28 - 35 SGB VIII damit stets die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII erfüllt sein. 


§ 27 SGB VIII Hilfe zur Erziehung

(1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.

(2) 1Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. 2Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. 3Die Hilfe ist in der Regel im Inland zu erbringen; sie darf nur dann im Ausland erbracht werden, wenn dies nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des Hilfezieles im Einzelfall erforderlich ist.

(2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.

(3) 1Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. 2Sie soll bei Bedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Absatz 2 einschließen.

(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthalts in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.


Die Tatbestandsvoraussetzungen im Überblick sind:



Sind diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, ergeben sich diverse Rechtsfolgen:

  • (Rechts-)Anspruch des/der Personensorgeberechtigten auf Hilfen zur Erziehung (Abs. 1)

  • Gewährung der Hilfen nach den §§ 28 – 35 SGB VIII (Abs. 2 S. 1)

  • Gewährung insbesondere durch pädagogische und damit verbundene therapeutische Maßnahmen (Abs. 3 S. 1)

Bei der Norm des § 27 SGB VIII handelt es sich damit um einen objektiven Rechtsanspruch und um eine „Muss-Leistung“.

Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung steht nach § 27 SGB VIII dem Personensorgeberechtigten, nicht dem Kind oder Jugendlichen zu.

Rechtsfolgen

Rechtsfolge des § 27 Abs. 1 SGB VIII ist ein eindeutiger und einklagbarer, subjektiver Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung.

Das Kind oder der Jugendliche hat dabei keinen eigenen Rechtsanspruch auf die Hilfe zur Erziehung. Dieser steht allein dem Personensorgeberechtigten zu. In der Literatur ist diese gesetzliche Zuordnung teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Auf Grundlage der aktuellen Fassung des § 27 Abs. 1 SGB VIII kommt eine andere Zuordnung jedoch nicht in Betracht. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig.

§ 27 SGB VIII verknüpft nicht die Anspruchsvoraussetzungen mit einer bestimmten Hilfeart. § 27 SGB VIII bestimmt lediglich allgemein das Bestehen eines Anspruches auf Hilfe zur Erziehung.


Die geeignete und notwendige Hilfeart wird jedoch schon innerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII in hohem Maße konkretisiert.

Je genauer die Situation beleuchtet wird, desto genauer kann eine konkrete Hilfe benannt werden. Dies kann durch eine sozialpädagogische Diagnose oder der Entwicklung eines Hilfeplanes nach § 36 Abs. 2 SGB VIII geschehen. Deshalb sind das „ob“ (Vorliegen der Voraussetzungen) und das „wie“ (Art der konkreten Hilfe) eng miteinander verbunden.



Die Auswahl der konkreten Hilfe durch das Jugendamt nach den §§ 28 ff. SGB VIII richtet sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall unter Einbeziehung des sozialen Umfelds des Kindes oder Jugendlichen sowie nach der Maßgabe der Verfahrensvorschriften nach den §§ 36 ff. SGB VIII.



Katalog der §§ 28 - 35 SGB VIII

Maßgeblich für die Gewährung der Hilfen sind die §§ 28 - 35 SGB VIII.

Der Katalog der Hilfen in §§ 28 - 35 SGB VIII ist jedoch nicht abschließend. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 SGB VIII ("insbesondere"; sog. "Innovationsklausel").

Es können daher auch auf den Einzelfall zugeschnittene, individuelle Hilfen entwickelt werden wie z.B. die Unterbringung von Kind und Mutter in einer Nachsorgeeinrichtung nach Drogenentzug, Unterbringung in einer Notschlafstelle oder einer ambulanten erzieherischen Betreuung (§ 27 Abs. 3 SGB VIII). Dazu darf aber keine der Hilfen aus §§ 28 - 35 SGB VIII einschlägig sein.

Es kann ebenso von einer Hilfe zu einer anderen gewechselt werden. Auch können mehrere Hilfen nebeneinander (= "Hilfearten-Mix") angewandt werden. Dazu dürfen sich die verschiedenen Hilfen aber nicht gegenseitig ausschließen.


Systematik der §§ 28 - 35 SGB VIII

Jede der Hilfearten setzt die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII voraus.

Zudem sind die Hilfen der §§ 28 - 35 SGB VIII systematisch nach ihrer Intensität geordnet.

Es gibt jedoch keine rechtliche Rangfolge der Hilfen. Die stärkere kann vor der schwächeren Hilfe angewandt werden und umgekehrt. Allein maßgeblich ist der erzieherische Bedarf.









Bei der Auswahl der verschiedenen Hilfen muss vorrangig die Möglichkeit des Verbleibs im eigenen Sozialisationsfeld des Kindes bzw. des Jugendlichen überprüft werden.

Das SGB VIII will die ambulanten bzw. teilstationären Hilfen (= familienunterstützende Angebote; §§ 29 - 32) gegenüber den familienersetzenden Hilfen (§§ 33, 34 SGB VIII) stärken und in den Vordergrund rücken. Die Hilfe nach § 35 SGB VIII wird ebenfalls zumeist in vollstationärer Form erbracht, kann jedoch auch ambulant erfolgen.

Die Anordnung im Gesetz entspricht der Intensität der erzieherischen Hilfen: § 28 SGB VIII stellt die Hilfeform dar, die in der Regel mit den geringsten Belastungen für die Familie verbunden ist. Bei einer Hilfe nach §§ 33, 34 SGB VIII kommt es hingegen zu einer Trennung des Kindes/Jugendlichen und seiner Familie.


Aspekte bei Ermittlung der richtigen Hilfe

Bei Ermittlung der richtigen Hilfe ist auf mehrere wichtige Aspekte Rücksicht zu nehmen:


Anderweitige Angebote als Hilfe zur Erziehung

Es ist auch die Frage zu stellen, ob anderweitige Angebote des SGB VIII als Hilfe zur Erziehung in Betracht kommen.

Hierunter können z.B. Beratungsangebote, Angebote der Familienerholung oder der Betreuung Minderjähriger in Tageseinrichtungen fallen. Es ist nicht unumstritten, ob diese Maßnahmen auch als Hilfe zur Erziehung in Frage kommen.

Im Ergebnis kann eine Möglichkeit der Gewährung von an anderen Stellen im Gesetz geregelten Leistungen aber bejaht werden. Begründet wird dies mit einer ansonsten ungerechtfertigten Schlechterstellung des Anspruchsberechtigten und einer möglichen Versagung einer sinnvollen Hilfe.

 

Praxistipp: Reihenfolge der Prüfung

Bei der Prüfung der in Frage kommenden Hilfearten der §§ 28 – 35 SGB VIII kann man diese Arten der Reihe nach prüfen oder auch eine Vorprüfung dahingehend machen, 

  • ob der junge Mensch innerhalb der Familie bleiben soll (dann nur die §§ 28 – 32 SGB VIII einschlägig) oder 
  • ob es aus dieser gezielt herausgenommen werden soll (dann §§ 33 – 35 SGB VIII einschlägig).