Einführung, Fächer der Psychologie

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Kurs: vhb - Differentielle und Persönlichkeitspsychologie im Kontext der Schule - Demo
Buch: Einführung, Fächer der Psychologie
Gedruckt von: Gast
Datum: Samstag, 27. April 2024, 15:44

Karin Schweizer & Daniel Paasch, Nürnberg - Einführung, Fächer der Psychologie, Abgrenzung Allgemeine/ Differentielle Psychologie

Ziele

Verständnis für die Bedeutung der Differentiellen Psychologie und der Persönlichkeitspsychologie in Abrenzung zur Allgemeinen Psychologie, Einblick in die historische Entwicklung gewinnen. Methoden der Differentiellen Psychologie, Verständnis für die grundlegenden Methoden der D.P. (z.B. Längsschnitt-, Querschnittuntersuchungen, Korrelationsstudien, Zwillingsforschung), realistische Einschätzungen der Schlussfolgerungen, die aus den derart erhobenen Daten gezogen werden dürfen.

1. Einleitung

Wir wissen, dass Gewalt an Schulen kein Einzelfall ist. Viele Schüler, Eltern und Lehrer haben Formen der Gewalt beobachtet. Olweus (1995) spricht hier von kennzeichnenden Merkmalen eines typischen Gewaltopfers oder Gewalttäters. Doch wie kommt man zu solchen Aussagen? Wie kommt es dazu, dass Kinder Eigenschaften entwickeln, die sie zu Opfern werden lassen und andere nicht? Welchen Anteil hat das Umfeld Schule daran und welchen Anteil haben familiäre Bedingungen?

Dieses Beispiel soll Ihre Sensibilität für Fragen der Persönlichkeits- und Differentiellen Psychologie wecken. Es geht hier nicht um das Thema Gewalt. Der Fokus dieser und der folgenden Lehreinheiten liegt auf den Unterschieden zwischen Menschen. Dabei werden wir im Folgenden zunächst auf die Begriffe Persönlichkeit, Persönlichkeitspsychologie und Differentielle Psychologie (Kap. 2) eingehen, bevor wir zentrale Begriffe klären (Kap. 3) und die Methoden der Differentiellen Psychologie (Kap. 4) vorstellen.

Übersicht über die Lehreinheit.

Abbildung 1.1: Übersicht über die Lehreinheit.

2. Persönlichkeit, Persönlichkeitspsychologie und Differentielle Psychologie

In der Psychologie insgesamt geht es um die Frage, wie Menschen denken, fühlen und handeln. Man will menschliches Verhalten beschreiben, erklären und vorhersagen und nutzt dazu eine empirische Basis, auf der die Daten und Aussagen gewonnen werden. Die Psychologie ist also ein empirisch arbeitendes Fach.

2.1 Unterschiedliche Perspektiven der Psychologie und zugehörige Methoden

Aussagen über menschliches Verhalten können unterschiedliche Perspektiven haben. Man kann zum Thema Gewalt in der Schule beispielsweise fragen, wie sich Kinder zu Opfern entwickeln konnten und welche Lebensumstände über die Kindheit hinweg gegeben sein müssen, um eine solche Entwicklung zu begünstigen. Diese Perspektive über die Lebenszeit bezeichnet man als entwicklungspsychologische Perspektive. Man kann jedoch auch fragen, wie Situationen beschaffen sein müssen, um gewaltbereites Handeln auszulösen. Dies wäre eine Frage nach universellen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten, die im Bereich der Allgemeinen Psychologie meist unter Einsatz von Experimenten erforscht werden.

Die differentielle Forschungsperspektive betrachtet im Gegensatz zur allgemeinpsychologischen Perspektive inter- und intraindividuelle Unterschiede. So wird  z.B. gefragt, worauf geschlechtsspezifische Unterschiede im Interesse an Naturwissenschaften zurückzuführen sind oder ob bestimmte Persönlichkeitseigenschaften Lehrkräfte davor bewahren können, unter Erschöpfungszuständen zu leiden. Fragen wie diese versucht man in der Regel mithilfe korrelativer Studien zu beantworten.

Fragen der Differentiellen Psychologie beschäftigen sich nach Amelang und Bartussek (1997) mit folgenden Themen:

  • Wie sind Merkmale beschaffen, bei denen es interindividuelle Differenzen gibt (z.B. Intelligenz)?
  • Welches Ausmaß haben diese Differenzen?
  • Inwieweit sind solche Merkmale (z.B. die Intelligenz, die Kreativität) wechselseitig abhängig?
  • Welche Ursachen haben diese Differenzen?
  • Inwieweit sind solche Merkmale beeinflussbar (z.B. durch Training, Umwelt-veränderungen, Medikamente etc.)?

2.2 Historische Entwicklung

Die Geschichte der Persönlichkeits- und Differentiellen Psychologie ist vor allem eine Geschichte der Intelligenzforschung. Als Begründer dieser Forschung gelten Franz Joseph Gall (1758-1828), der etwa Ende des 18. Jahrhunderts die Verbindung zwischen geistigen Leistungen und der Schädelform untersuchte, sowie Sir Francis Galton (1822-1911), der wie James McKeen Cattell (1860-1944) Testverfahren zur Erfassung psychischer Eigenschaften entwickelte und ebenfalls versuchte, die erbbiologischen Gesetzmäßigkeiten der Intelligenz zu entschlüsseln. Ein Meilenstein der Intelligenzforschung war jedoch die Entwicklung der ersten Intelligenztests durch Alfred Binet (1857-1911) zusammen mit Theophile Simon (1873-1961). Binet war Mitglied der Kommission zur Früherkennung und Förderung von Kindern mit intellektuellen Schwierigkeiten. Als das Pariser Unterrichtsministerium verfügte, dass Kinder nur in Sonderschulen eingewiesen werden dürfen, wenn die Einweisung gestützt auf ein medizinisch-pädagogisches Gutachten erfolgt, wollte er ein Verfahren schaffen, um objektiv alle betroffenen Schüler zu ermitteln.                                                                            

Zunächst (1905) stellten Binet und Simon insgesamt 30 Aufgaben vor, mit deren Hilfe in einem Probelauf 30 minderbegabte von 50 normalen Kindern unterschieden werden konnten (Amelang & Bartussek, 1997). Diese ursprüngliche Serie wurde 1908 und 1911 verbessert, sodass für jede Altersstufe von 3 bis 10 Jahren inhaltlich heterogene und unterschiedlich schwierige Aufgaben so zusammengestellt wurden, dass sie von etwa 50-75% der Kinder der Altersstufe gelöst werden konnten (s. auch Abb. 1.2). Geeignet waren danach solche Aufgaben, die von möglichst vielen Altersgenossen, aber nicht von deutlich jüngeren Kindern gelöst werden konnten.

Abbildung 1.2: Lösungswahrscheinlichkeit einer Binet-Aufgabe in Abhängigkeit vom Lebensalter (logarithmischer Maßstab auf der Abszisse;nach Amelang & Bartussek, 1997).

So kamen Binet und Simon zu einem Maß, das sie Intelligenzalter nannten (IA) und zu dem der Abstand jedes Kindes bestimmt werden konnte (s. dazu auch Lehreinheit Intelligenz). Dieses Intelligenzalter musste über alle Probanden hinweg dem Lebensalter entsprechen.

Exkurs:                                                                                                                                                          

Bestimmung des Intelligenzalters nach Binet

Um die Bestimmung des Intelligenzalters genauer nachvollziehen zu können, kann ein hypothetisches Lösungsmuster eines Kindes, wie in Tabelle 1.1 dargestellt, betrachtet werden. Kindern wurden in jeder Altersserie immer 5 Aufgaben vorgelegt. Ein Beispiel gibt      Tabelle 1.1

Tabelle 1.1: Beispiellösungen für ein Kind im Alter von 7 Jahren (nach Amelang & Bartussek, 1997).

Aufgaben / Alter

6

7

8

9

10

11

1

+

+

-

+

-

-

2

+

+

+

-

+

-

3

+

+

+

+

+

-

4

+

+

+

+

-

-

5

+

+

-

-

-

-

 

Dieses Kind von 7 Jahren löst beispielsweise alle Aufgaben für 6- und 7-Jährige, dazu 3 Aufgaben für 8- und 9-Jährige sowie zwei Aufgaben für 10-Jährige. Für die Berechnung des Intelligenzalters geht man nun von der Altersklasse aus, bis zu der das Kind alle Aufgaben löste (7). Dies ist das Grundalter für das Intelligenzalter, das in Monatsäquivalenten angegeben wird (7x12). Für jede weitere gelöste Aufgabe (8) wird nun 1/5 (da 5 Aufgaben einer Altersserie) jeden Jahres in Monatsäquivalenten hinzugezählt (8x12/5), sodass in diesem Fall ein Intelligenzalter von 103 Monaten entsteht, wobei üblicherweise noch mal 5/2 Aufgaben in Monatseinheiten hinzugezählt werden.

Die Tests, die nach altersbezogenen Schwierigkeitsstufen geordnet waren, waren jedoch der Kritik ausgesetzt, da die Differenzen nicht nach dem tatsächlichen Alter gewichtet waren. So konnte eine Differenz von zwei IA-Einheiten bei einem 10-jährigen Kind unauffällig sein, bei einem 4-jährigen jedoch auf Schwachsinn hindeuten (vgl. dazu Amelang & Barussek, 1997). Diesem Umstand versuchte William Stern (1911) mit der Berechnung eines Intelligenzquotienten (IQ) zu begegnen, der das IA in Bezug zum Lebensalter (LA) setzte. Dieser berechnete sich wie folgt: IQ = IA/LAx100. (Zu heutigen Berechnungen der Intelligenz s. Lehreinheit „Intelligenz“)

William Stern hat sich jedoch nicht nur mit diesem Vorschlag zur Berechnung eines Intelligenzquotienten, sondern vor allem durch die Publikation „Über die Psychologie der individuellen Differenzen – Idee zu einer Differentiellen Psychologie“ (s. Stern, 1911) große Verdienste zur Etablierung der Differentiellen Psychologie erworben. So thematisiert er u.a. methodische Zugänge wie die Variations- und Korrelationsforschung und die Psychografie und Komparationsforschung, die bereits wesentliche Probleme der Differentiellen Psychologie thematisieren. Abbildung 1.3 gibt einen Überblick über die methodischen Zugänge.

Abbildung 1.3: Methodische Zugänge zur Differentiellen Psychologie (modifiziert nach Stern 1921).

In Abbildung 1.3 bezeichnen die Großbuchstaben Individuen (Personen) und die kleinen Buchstaben einzelne Merkmale (wie z.B. Intelligenz). Die einzelnen Techniken können danach wie folgt charakterisiert werden:

  • Die Variationsforschung betrachtet ein Merkmal (m) bei vielen Individuen (A, B, C, …).
  • Die Korrelationsforschung betrachtet zwei oder mehr Merkmale (m, n, ...) an vielen Individuen (A, B, C, …) und stellt die Frage, welches Merkmal geht mit welchem anderen Merkmal einher.
  • Die Psychografie, einer der ältesten Zugänge zu Fragen der Differentiellen Psychologie, betrachtet viele Merkmale (a, b, c,…) an einem Individuum (M).
  • Die Komparationsforschung betrachtet viele Merkmale (a, b, c,…) an zwei oder mehr Individuen (M, N, …).

Diese Art der Betrachtung von Individuen und Merkmalen kann zur Beantwortung vieler der eingangs erwähnten Fragen beitragen. Es fehlt jedoch die dritte Ebene, die Veränderung der Situation (z.B. die Frage nach der Beeinflussbarkeit durch Trainings oder Interventionen). Diesem Umstand hat Cattell (1957) Rechnung getragen, indem er neben Individuen (Personen) und Merkmalen (die er Variablen nennt) auch Situationen in einem dreidimensionalen Modell, einem Datenquader, kombiniert hat. Er kommt dadurch zu unterschiedlichen Korrelationstechniken, die in Tabelle 1.2 erläutert sind.

Tabelle 1.2: Korrelationstechniken nach Cattell (in Anlehnung an Amelang & Bartussek, 1997).

Technik

Was wird korreliert?

Über was wird korreliert?

Was wird konstant gehalten?

Was beschreibt die Korrelation?

R-Technik

Variablen

Versuchs-personen

Ein Messzeitpunkt/

eine Situation

Ähnlichkeit von Variablen hinsichtlich ihrer Variation zwischen den Versuchspersonen zu einem Zeitpunkt

Q-Technik

Versuchs-personen

Variablen

Ein Messzeitpunkt/

eine Situation

Ähnlichkeit von Versuchspersonen hinsichtlich ihrer Variablenprofile zu einem Zeitpunkt

O-Technik

Messzeitpunkte/

Situationen

Variablen

Eine Versuchsperson

Ähnlichkeit von Situationen hinsichtlich ihrer Variablenprofile bei einer Versuchsperson

P-Technik

Variablen

Messzeitpunkte/

Situationen

Eine Versuchsperson

Ähnlichkeit von Variablen hinsichtlich ihrer Variation über die Zeitpunkte bei einer Person

S-Technik

Versuchs-personen

Messzeitpunkte/

Situationen

Eine Variable

Ähnlichkeit von Versuchspersonen hinsichtlich ihrer Variation über die Messzeitpunkte in der Variable

T-Technik

Messzeitpunkte/

Situationen

Versuchs-personen

Eine Variable

Ähnlichkeit von Situationen hinsichtlich ihrer Variation zwischen den Versuchspersonen in der Variable

 

 

2.3 Persönlichkeit

Empirische Forschung, die sich mit der Persönlichkeit von Menschen befasst, steht nach Herrmann (1987) vor mindestens zwei Problemen: (a) der Einzigartigkeit der menschlichen Persönlichkeit und Stabilität und (b) des Überdauerns des Verhaltenskorrelats.

Dabei wird das Wort Persönlichkeit keineswegs einheitlich verwendet, sondern es werden höchst unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet (Herrmann, 1987). Schon Allport (1959) berichtet über 50 verschiedene Verwendungsweisen dieses Begriffes. Ohne hier auf die wortgeschichtliche Entwicklung einzugehen, kann man allein bei den zahlreichen Definitionen feststellen, dass Persönlichkeit meist als dem Zeitablauf gegenüber als relativ konstant und stabil und als einzigartig betrachtet wird (z.B. bei Allport, 1959; Arnold, 1962; Eysenck, 1953; Guilford, 1964; Lersch, 1938; Wellek, 1966). So ist die Persönlichkeit eines Individuums bei Guilford (1964, S. 6) „seine einzigartige Struktur von Persönlichkeitszügen (Traits)“, wobei als Trait konstante und abstrahierbare Wesenszüge bezeichnet werden, hinsichtlich derer eine Person von einer anderen unterscheidbar ist (Amelang & Bartussek, 1997). Diese Konzentration auf Dispositionseigenschaften findet vor allem im Rahmen der Eigenschaftstheorien statt.

Mit dem Begriff Persönlichkeit werden i. d. R. keine konkreten Verhaltensweisen in konkreten Situationen in Verbindung gebracht, sondern wie oben schon erwähnt, überdauernde Verhaltenskorrelate. Pawlik (1973, S. 3) definiert Persönlichkeit dementsprechend als die „Gesamtheit reliabler inter- und intraindividueller Unterschiede im Verhalten sowie deren Ursachen und Wirkungen.“ Auch die Mehrheit heutiger Persönlichkeitsdefinitionen fasst Persönlichkeit als etwas auf, das bei jedem Menschen einzigartig und relativ stabil ist und als überdauerndes Verhaltenskorrelat betrachtet werden kann (Herrmann, 1987). Verschiedene Persönlichkeitskonstrukte (s. u. Unterkap. 3.1) wie Intelligenz, Kreativität und Angst werden in den einzelnen Lehreinheiten dieses Moduls besprochen.

3. Zentrale Begriffe

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3.1 Variablen, Skalen und Konstrukte

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3.2 Nomothetische und idiografische Verfahren

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4. Grundlegende Methoden der Differentiellen Psychologie

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4.1 Querschnittstudie

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4.2 Längsschnittstudie

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4.3 Korrelationsstudien

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4.4 Zwillingsforschung

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5. Schluss

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6. Literaturempfehlungen

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7. Literaturverzeichnis

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8. Übungsfragen

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