Lerneinheiten zum Ermittlungsverfahren

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Kurs: vhb - Strafprozessrecht - Demo
Buch: Lerneinheiten zum Ermittlungsverfahren
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Datum: Samstag, 4. Mai 2024, 22:07

1. 1. Einleitung des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren wird auch als Vorverfahren bezeichnet. Mit ihm beginnt das Strafverfahren. Gesetzliche Regelungen hierzu finden sich in den §§ 151 – 177 StPO. Geleitet wird das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“. Sie kann selbst ermitteln oder Ermittlungen durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes anstellen lassen, vgl. § 161 Abs. 1 S. 1 StPO. Ein Ermittlungsverfahren kann auf zwei verschiedene Arten eingeleitet werden: durch eine Strafanzeige, die jeder Bürger erstatten kann, vgl. § 158 Abs. 1 StPO, oder von Amts wegen durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft.

1.1. Strafanzeige nach § 158 Abs. 1 StPO


Nach § 158 Abs. 1 S. 1 StPO kann jeder Bürger Strafanzeige bei der Polizei, Staatsanwaltschaft oder bei den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich erstatten. Als Strafanzeige wird die Mitteilung eines Sachverhalts an die Strafverfolgungsbehörden bezeichnet, der nach Ansicht des Mitteilenden, Anlass zur Strafverfolgung gibt. Der Mitteilende muss dabei nicht zwingend das Opfer einer Straftat sein. Es kann sich auch um jemanden handeln, der Beobachtungen der Straftat gemacht hat.

Die Strafanzeige ist vom Strafantrag zu unterscheiden:

Ein Strafantrag im weiteren Sinne des § 158 Abs. 1 S. 1 StPO liegt vor, wenn der Anzeigende über die Anzeigeerstattung hinaus zu erkennen gibt, dass er ein Interesse an der Verfolgung der Straftat hat. Als Strafantrag im engeren Sinne wird der Strafantrag nach §§ 77 ff. StGB bezeichnet, er ist Prozessvoraussetzung für die Verfolgung von Antragsdelikten. Das Gegenstück dazu sind Offizialdelikte, die bei Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen verfolgt werden. Er bedarf der Schriftform, vgl. § 158 Abs. 2 StPO, kann aber implizit in der schriftlichen Anzeige liegen.

Achten Sie auf den terminologischen Unterschied zwischen Strafanzeige und Strafantrag! Insbesondere meint die StPO in § 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 nicht den Strafantrag im Sinne des § 77 StGB. Hier liegt eine Ungenauigkeit vor. Es handelt sich in § 158 Abs. 1 StPO um den gleichen Antragsbegriff wie in § 171 StPO. § 158 Abs. 2 StPO hingegen bezieht sich ausdrücklich auf den Strafantrag im Sinne des StGB.


1.2. Einleitung von Amts wegen oder aufgrund amtlicher Wahrnehmung

Die Strafverfolgungsbehörde kann auch durch amtliche Wahrnehmung Kenntnis vom Verdacht einer Straftat erlangen und von Amts wegen das Strafverfahren einleiten. Die Strafverfolgungsbehörden sind gem. § 160 Abs. 1 StPO sogar verpflichtet Ermittlungen aufzunehmen. Dies bedeutet auch, dass glaubwürdigen Gerüchten oder (ernst zu nehmenden) anonymen Hinweisen nachgegangen werden muss.

Auch bei Antragsdelikten sind die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet Ermittlungen aufzunehmen, allerdings erst dann, wenn ein wirksamer Strafantrag gem. § 77 StGB gestellt wurde. Wird im weiteren Verfahren der Strafantrag zurückgenommen oder war er nicht wirksam gestellt, so kann das Verfahren dennoch fortgeführt werden, wenn die Staatsanwaltschaft dort, wo das Gesetz dies vorsieht, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht, vgl.  bspw. § 230 Abs. 1 StGB. Bei reinen Antragsdelikten gilt dies jedoch nicht. Wird der Strafantrag nicht oder nicht rechtzeitig gestellt oder später wirksam zurückgenommen, so liegt ein endgültiges Verfolgungshindernis vor, das regelmäßig die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. dazu Thema 3 (3.1.-3.3.).

Probleme bereiten Hinweise oder Wahrnehmungen, die die Beamten der Staatsanwaltschaft oder der Polizei außerdienstlich erlangt haben. In solchen Fällen ist unklar, wie weit das Legalitätsprinzip reicht. Nach Ansicht des BGH wird eine Ermittlungs- und Anzeigepflicht bejaht, wenn es sich um Straftaten handelt, die nach Art und Schwere „die Belange der Öffentlichkeit in besonderem Maße berühren“ (BGHSt 12, 277 (281)). Dies stelle nach anderer Ansicht jedoch kein taugliches Abgrenzungskriterium dar. Eine Pflicht zum Einschreiten ergebe sich – bei außerdienstlich erlangter Kenntnis – bereits aus der beamtenrechtlichen Treuepflicht und verpflichte bei Kenntnis schwerer Straftaten, jedenfalls bei Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB oder bei Vorliegen einer Katalogtat im Sinne des § 138 StGB zum Einschreiten (vgl. m.w.N. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160 Rn. 10). Zum Verhältnis Legalitätsprinzip und Privatsphäre des StA vgl. bereits Thema 2. (3.5.).


1.3. Anfangsverdacht

Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO. Ein solcher liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die nach kriminalistischer Erfahrung die Beteiligung des Betroffenen an einer verfolgbaren Straftat als möglich erscheinen lassen. Es müssen dazu bereits konkrete Tatsachen bestehen, die einen Anfangsverdacht begründen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus. Den Strafverfolgungsbehörden steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft stellt jedoch keine Ermessensentscheidung dar. Bei der Beurteilung können auch offenkundige Tatsachen des Zeitgeschehens eine Rolle spielen. Ebenso können auch entfernte Indizien und anonyme Hinweise genügen. Allerdings muss der Anfangsverdacht, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, weder dringend noch hinreichend sein. Zur Abgrenzung siehe bereits Thema 2 (2.3.).

2. Weitere Lerneinheiten

Weitere Lerneinheiten und auch weitere Kursmaterialien zum Ermittlungsverfahren finden Sie in der Hauptversion des Kurses.