Diagnostische Methoden IV: Schulleistungstests (Testbeispiele. Kennen lernen unterschiedlicher schulrelevanter Testtypen und ihrer Anwendungsbedingungen)

2. Typen von Schulleistungstests nach dem Vergleichsmaßstab

2.1.3 Der Lehrplanbezug als besonders wichtiges Merkmal von Schulleistungstests

Jeder psychologische Test hat einen genau definierten Inhaltsbereich zu erfassen. Dieser Zusammenhang spielt bei der Prüfung der Validität (s. Lehreinheit 4) eine Rolle. Schlicht formuliert müssen Testüberschrift und Testinhalt weitgehend zusammenfallen. Ein Test zur Prüfung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Fach Erdkunde muss eben Kenntnisse und Fähigkeiten in Erdkunde erfassen und darf nicht von jemandem lösbar sein, der nur über eine gute Allgemeinintelligenz und gute Sprachkenntnisse verfügt und keine Erdkundekenntnisse besitzt. Das gilt analog für sämtliche Schulleistungstests, die ja schließlich alle an einem bestimmten, benannten Schulfach ausgerichtet sind.

Die Frage, wo denn eigentlich Schulfachinhalte definiert sind, ist vom Insider rasch beantwortet: Der Lehrplan bzw. das Curriculum ist der Ort, an dem der Inhalt eines jeden Fachs für die Lehrkräfte verbindlich vorgeschrieben ist. Damit mag vielleicht eine Eingangsfrage gelöst sein, aber nicht alle weiteren. Vielmehr tauchen neue Probleme auf, denn der Lehrplan z.B. für Deutsch ist nicht einfach der Lehrplan für Deutsch, sondern er unterscheidet sich, wie alle anderen auch, nach

  • Schulart (also z.B. Gymnasium, Realschule oder Hauptschule).
  • Jahrgangsstufe (also z.B. 4. Jahrgangsstufe). Eine zusätzliche Unterscheidung nach Alter der Schüler kann gelegentlich vorkommen, gilt aber im Zusammenhang unseres Themas meist als irrelevant.
  • Ländern, in denen in deutscher Sprache unterrichtet wird. Das sind jetzt nicht etwa nur die Länder Deutschland, Österreich und Schweiz (einmal der Größe nach geordnet), sondern innerhalb Deutschlands die 16 Bundesländer und innerhalb der Schweiz die 26 Kantone, die weitgehend selbstständige Schulpolitik machen und meist Lehrpläne mit gewissen Unterschieden hervorgebracht haben. Nicht so in Österreich, wo die Bildungshoheit beim Bund liegt.

 

Exkurs (Neufassung)


Alternativen zum Lehrplan eines Bundeslands:


Die Rahmenlehrpläne der Deutschen Kultusministerkonferenz (KMK), auf die in der 1. Fassung dieser LE 10 noch hingewiesen wurde, sind nicht mehr verfügbar. Es gibt sie nur noch für berufsbildende Schulen:

https://www.kmk.org/themen/berufliche-schulen/duale-berufsausbildung/rahmenlehrplaene-und-ausbildungsordnungen.html

Ein regional, nicht inhaltlich, begrenzter Rest von Rahmenlehrplan für die Bildungsgänge und Schulformen der Primar- und Sekundarstufe existiert noch durch die seit mehr als 10 Jahre bestehende enge  Kooperation der Bundesländer Berlin und Brandenburg (früher noch mit Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, die hier aber nicht wieder „eingestiegen“ sind). Der neue Rahmenlehrplan für diese beiden Bundesländer ist in Entwicklung und soll ab 2016/17 in Kraft gesetzt werden:

http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/unterricht/rahmenlehrplaene/?L=0

Nach wie vor verbindlich für alle Bundesländer sind die allgemeiner als Lehrpläne gefassten „Bildungsstandards“ der KMK, verabschiedet 2003, in revidierter Fassung 2013. Die entwickelten Kompetenzstufenmodelle ermöglichen es der Schulbehörde, zu erfassen, in wieweit die Standards von den Schülerinnen und Schülern erreicht werden.  

http://www.kmk.org/bildung-schule/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards/ueberblick.html

Noch eine Ergänzung zum aktuellen Stand in Bayern: Der „Lehrplan Plus“ ist in Entwicklung - im Sommer 2015 noch nicht für alle Schularten verfügbar:

http://www.lehrplanplus.bayern.de/

Zugriff bei allen Links im Exkurs: 28.09.2015

Testautoren müssen also ihre Schulleistungstests ausrichten nach Schulfach (oder Teil eines Schulfachs), Schultyp und Jahrgangsstufe, also z.B. Rechtschreiben, 2. Jahrgang, Grund-schule (und gegebenenfalls auch 3. Jahrgang Förderschule für Lernbeeinträchtigte bzw. in Bayern sonderpädagogische Diagnose- und Förderklasse 2, früher Sonderschule für Lern-behinderte, 3. Jahrgang). Bei Anwendungen des Tests in zwei Schultypen, z.B. Realschule und Gymnasium, müssen dann zwei getrennte Normtabellen erstellt werden.

Der Umgang mit den Unterschieden in den Bundesländern erfordert eine besondere Maßnahme: Den Unterschieden in den Lehrplänen kann der Testautor insbesondere dadurch gerecht werden, indem er gemeinsame Schnittmengen der Stoffinhalte bildet. Das geht in vielen Fällen gut, kann aber natürlich dazu führen, dass einzelne Teilziele aus Lehrplänen wegbleiben (davon berichten z.B. Krajewski, Liehm & Schneider, 2004, S. 13).

Da ein Anwendungsziel des Schulleistungstests in der Beratung von Lehrpersonen zur gezielteren Anwendung von Hilfs- und Stützmaßnahmen ihrer Schüler liegt, ist es klar, dass der Lehrplanbezug auf die konkret vorliegende Jahrgangsstufe gegeben sein muss. Ähnlich ist das übrigens auch bei Anwendung durch Schulberater (s. Unterkap. 6.1 und 6.2).

Aus all diesen Überlegungen erfolgt jetzt folgende Festlegung:

Bestimmungsmerkmale des Schulleistungstests

Ein Schulleistungstest ist ein psychologischer Test. Er hat eine testtheoretische Grundlage und muss sich im engeren Sinn beziehen auf

  • einen Schultyp
  • ein Schulfach (oder Teil eines Schulfachs)
  • eine Jahrgangsstufe

und damit auf den dafür gültigen Lehrplan. Fehlt einer dieser Bezugspunkte, so kann der Schulleistungstest nicht für alle (später noch ausführlich beschriebenen) Verwendungszwecke eingesetzt werden.

Die Festlegungen gelten für den norm- und für den später noch behandelten kriteriums-orientierten Schulleistungstest.