Grundlagen der anwendungsbezogenen Hochschulmathematik

2. Folgen und Grenzwerte

2.4. Grenzwerte

Gleichungen

In diesem Kapitel wollen wir den Grenzwert nochmals genauer betrachten. Wir werden feststellen, dass mit dem Grenzwert letztlich gerechnet werden kann wie mit einer Zahl.

Eindeutigkeit des Grenzwerts

Bisher haben wir recht naiv angenommen, dass eine konvergente Folgen "den" Grenzwert besitzt. Aber könnte sie nicht auch noch einen zweiten, dritten, ... oder sogar unendlich viele haben, die beliebig nah am "ersten" dran liegen? Tatsächlich ist dies nie der Fall wie wir jetzt beweisen werden. Dazu nehmen wir für eine beliebige konvergente Folge an sie hätte zwei (oder mehr) verschiedene Grenzwerte und führen dies auf einen Widerspruch bzw. unsere gewünschte Aussage zurück. Beweis: Sei \( (a_n) \) unsere konvergente Folge mit den Grenzwerten \( a \) und \( \tilde{a} \). Sei weiter \( \epsilon > 0 \) beliebig aber fest gewählt. Da es sich um jeweils zwei Grenzwerte handelt, existieren \( N_a \) und \( N_{\tilde{a}} \) mit \[\forall n \geq N_a : |a_n-a| < \frac{\epsilon}{2} \, \text{und} \, \forall n \geq N_{\tilde{a}} : \vert a_n-\tilde{a}\vert< \frac{\epsilon}{2} \] Hier sind zwei wichtige Punkte eingeflossen. Zum einen können \( N_a \) und \( N_{\tilde{a}} \) verschieden sein, da es sich um zwei verschiedene Grenzwerte handelt. Zum anderen können wir in der Ungleichung \( \frac{\epsilon}{2} \) wählen, da ein \( \epsilon \) fest gewählt ist und damit auch \( \frac{\epsilon}{2} \). Dies mag vielleicht verwirrend erscheinen, aber wenn man sich \( \frac{\epsilon}{\2} \) als \( {\epsilon}_{neu} \) vorstellt, dann erhält man letztlich wieder die Definition des Grenzwerts, die wir hier lediglich angewandt haben. Weshalb wir dies so getan haben, wird im Folgenden klarer werden. Wie beschrieben sind \( N_a \) und \( N_{\tilde{a}} \) nicht zwingend identisch. Um dennoch weiterhin beide Ungleichungen verwenden zu dürfen (Beachte je die Bedingungen \( \forall n \dots \)), sei im folgenden \( n \geq max(N_a,N_{\tilde{a}}) \). Damit erhalten wir \[ 0 \leq |a-\tilde{a} \overset{\text{Dreiecksungleichung}}{\underset{\text{}}{\leq}} |a-a_n|+|a_n-\tilde{a}|=|a_n-a|+|a_n-\tilde{a}| \overset{\text{Konvergenz-}}{\underset{\text{Voraussetzung}}{<}} \frac{\epsilon}{2}+\frac{\epsilon}{2}=\epsilon \] Da wir \( \epsilon \) beliebig klein wählen können, können wir jedwede (feste) Differenz zwischen \(a\) und \( \tilde{a}\) unterbieten, was die Ungleichung verletzt, die für jedes \( \epsilon \) gilt. D.h. \( a\) und \( \tilde{a}\) müssen identisch sein und die Folge \( (a_n) \) besitzt nur einen einzigen Grenzwert. Hierbei wird auch erst wieder im letzten Schritt die Wahl von \(\frac{\epsilon}{2} \) klar - analog wie es bei der Wahl von \( N_{\epsilon}\) beim Beweis der Konvergenz der Fall war.

Rechenregeln für Grenzwerte
Nun wollen wir uns damit beschäftigen was damit passiert, welche Auswirkungen es bei einer konvergenten Folge auf den Genzwert hat, wenn wir die Folgenglieder "geschickt" verändern. Was in diesem Kontext "geschickt" bedeutet, werden wir noch herausfinden. Wir nehmen zunächst unsere bekannte konvergente Folge \( (a_n)=\frac1n \), die gegen \(0\) konvergiert. Was passiert nun beispielsweise, wenn wir zu jedem Folgenglied \( 3 \) dazu addieren? Algebraisch erhalten wir die neue Folge \( (b_n) = 3+\frac1n \), die nach Kapitel 2.3 nun gegen \( 3 \) konvergiert. Man kann sich das ganze aber auch geometrisch überlegen: Per Definition ist \( (b_n \) eine Funktion. Addieren wir zu einer Funktion eine konstante Zahl, so wird der Graph der funktion um diesen gewissen Betrag nach unten oder oben verschoben - je nach Vorzeichen der Konstanten. Damit verschiebt sich aber auch der Grenzwert um genau diesen Betrag, in unserem Fall wird aus \( 0 \) der neue Grenzwert \( 3 \). Was nehmen wir hieraus mit? Man kann bei Summen (und Differenzen) von (konvergenten) Folgen die Grenzwertbetrachtung auf die Summanden aufteilen, d.h. in unserem Fall \(\lim_{n \to \infty}(3+\frac1n)=\lim_{n \to \infty}3+\lim_{n \to \infty}\frac1n=3. In unserem Fall war eine der Folgen eine konstante Folge. Tatsächlich funktioniert dies aber für zwei beliebige konvergenten Folgen \((x_n)\) und \((y_n)\) mit den Grenzwerten \(x\) und \(y\), da diese per Definition einen Grenzwert besitzen:

Satz

Seien \((x_n)\) und \((y_n)\)zwei konvergente Folgen mit den Grenzwerten \(x\) und \(y\). Es gilt: \[ \lim_{n \to \infty}(x_n+y_n)=\lim_{n \to \infty}x_n+\lim_{n \to \infty}y_n. \]

Aus analogen geometrische Gründen gilt die Aussage auch für das Produkt zweier konvergenter Folgen \( (x_n) \) und \( (y-n) \). Sind \( x \) und \( y \) die jeweiligen Grenzwerte, dann konvergiert die Folge \( (x_n\cdot y_n) \) gegen \( x \cdot x \). Der Beweis hierfür ist etwas kniffeliger und stützt sich auf das Lemma aus 2.3, dass konvergente Folgen beschränkt sind.

Satz

Seien \((x_n)\) und \((y_n)\)zwei konvergente Folgen mit den Grenzwerten \(x\) und \(y\), dann konvergiert die Folge \( (x_n\cdot y_n) \) gegen \( x \cdot x \).

Sandwich-Theorem
Konvergente Folgen haben aber nicht nur die schöne Eigenschaft, dass sich die bekannten Rechenoperationen fortsetzen lassen, sondern auch, dass sich Abschätzungen vornehmen lassen wie zunächst in folgendem Lemma festgehalten wird.

Lemma

Seien \( (a_n) \) und \( (b_n \) zwei konvergente Folgen mit \( \lim_{n \to \infty} a_n = a \) und \( \lim_{n \to \infty} b_n = b \). Weiter sei \( a_n \leq b_n \) für alle \( n \in \mathbb{N} \). Dann gilt \( a \leq b \).

Ist also eine konvergente Folge durch eine weitere nach oben beschränkt, so ist dies ihr Grenzwert durch den anderen auch. Aus geometrischer Sicht macht dies durchaus Sinn, da die Werte der Folgenglieder \( (a_n) \) nicht überhalb von \( (b_n) \) liegen können (nach Voraussetzungen) und damit ihr Grenzwert \( a \) maximal \( b \) werden kann. Eine analoge Aussage gilt natürlich auch, wenn man jedes \( \leq \) durch \( \geq \) ersetzt. Auf einen Beweis verzichten wir an dieser Stelle.

Wichtig: In obigem Lemma kann das \( \leq \) nicht durch \( < \) bzw. \( \geq \) nicht durch \( < \) ersetzt werden. Hierzu betrachten wir uns die beiden Folgen \( (a_n)=0 \) und \( (b_n)=\frac1n \). Es ist bekannt, dass beide Folgen konvergent sind und offensichtlich ist \( a_n < b_n \) für alle natürlichen Zahlen \( n \). Allerdings sind beide Grenzwerte gleich \( 0 \) und insbesondere ist \( \lim_{n \to \infty} b_n = 0 \) nicht größer als \( \lim_{n \to \infty} a_n = 0 \). Mit Hilfe dieses Lemmas können wir nun eine ziemlich starke Aussage beweisen. Man stelle sich vor, dass man mit dem Fahrrad fährt und vor und hinter einem jeweils ein Bus ist, der zur Endhaltestelle fährt - man also "eingequetscht" ist. Da man weder nach vor noch nach hinten "ausbrechen" kann, bleibt einem keine Wahl als mit zur Endhaltestelle zu fahren. Mathematisch kann man die beiden Busse als Folgen betrachten, die gegen einen Grenzwert (Endhaltestelle) konvergieren. Eine dritte Folge (das Fahrrad), die zunächst nicht konvergiert (kein Ziel besitzt), konvergiert gegen denselben Grenzwert, wenn es zwischen den anderen beiden Folgen "eingequetscht" wird, also jedes Folgenglied größer- bzw. kleiner-gleich der anderen Folgenglieder ist. In der Sprache der Mathematik gilt also

Sandwich-Theorem

Seien \( (a_n) \) und \( (b_n) \) konvergente Folgen mit demselben Grenzwert \( s \). Weiter sei eine weitere Folge \( (c_n) \) gegeben mit \( a_n \leq c_n \leq b_n \) für alle \( n \in \mathbb{N} \). Dann konvergiert \( (c_n) \) und besitzt auch den Grenzwert \( s \).

Beweis

Eine indirekte Anwendung für das Sandwichtheorem ist die Invervallschachtelung zur Bestimmung von \(\sqrt{2}\)


Intervallschachtelung

Hier können Sie das Thema Grenzwerte nochmals wiederholen und vertiefen.

Anwendung von Grenzwerten am Beispiel Heron-Verfahren
Wie die Quadratwurzel einer Zahl definiert ist, haben wir in Kapitel 1.2 rekapituliert. Doch wie berechnet man diese, wenn man nicht gerade die Wurzel aus einer Quadratzahl berechnen möchte wie z.B. \( \sqrt{3} \)? Die gängige Methode ist die Nutzung eines Taschenrechners oder eines anderen Kalkulators. Doch wie rechnet eigentlich eine solche Software, die im Wesentlichen die Grundrechenarten beherrschen? Dazu gehen wir das Problem geometrisch an. Wir hatten die Quadratwurzel vereinfacht als Umkehrung des Quadrierens wiederholt. Daher ist es naheliegend ein Quadrat mit einem gegebenen Flächeninhalt zu betrachten. Die Seitenlänge ist wegen der Flächeninhaltsformel \( A_{Quadrat}=a^2 \) für die Seitenlänge \( a \). Haben wir bspw. ein Quadrat mit Flächeninhalt \( A = 3 \) (Wir vernachlässigen Einheiten) gegeben, dann muss die Seitenlänge \( a = \sqrt{3} \) sein und wir könnten diese z.B. mit einem Zahlenstrahl ablesen. Nun ist es allerdings ziemlich schwierig ein Quadrat mit Flächeninhalt \( 3 \) zu zeichnen, da man sonst von der Seitenlänge aus ausgeht. Deshalb beginnen wir bei einem leichteren Objekt wie einem Rechteck mit Flächeninhalt \( 3 \), das wir zu einem flächeninhaltgleichen Quadrat umformen möchten. Dazu wählen wir eine Seitenlänge \( b \) beliebig, z.B. \( b_0=1 \). Da wir mehrere Seitenlängen erhalten werden, sind diese mit einem Index gekennzeichnet. Für die zweite Seite \(c_0 \) gilt (im Allgemeinen) \( A_{Rechteck}=b \cdot c \), weshalb \( c_0=\frac{3}{1}=3 \) ist. Um das Rechteck in Quadrat zu überführen, bilden wir wieder ein Rechteck, dass aber als Seitenlänge \( b_1 = \frac{b_0+c_0}{2} = 2 \) besitzt, d.h. das arithmetische Mittel aus den vorangegangenen Längen. Damit der Flächeninhalt identisch bleibt, muss dann \( c_1=\frac{3}{2}=1,5 \) gelten. Wir erkennen, dass sich die Seitenlängen nun näher angenähert haben, da wir das arithmetische Mittel gebildet haben. Damit werden wir das gewünschte Quadrat erhalten, das ja nur ein Rechteck mit zwei gleichlangen Seiten ist. Wenn wir diesen Vorgang beliebig lange wiederholen erhalten wir dann den gewünschten Wert \( b_n = c_n = 1,7320... = \sqrt{3} \) für \( n \to \infty \). Wir haben also sogar zwei verschiedene konvergente Folgen konstruiert. Einerseits die offensichtliche Folge der Seitenlänge \( b_n \) bzw. \( c_n \), die gegen den gewünschten Wert konvergiert. Aber andererseits auch die Folge der Rechtecke, die gegen das Quadrat konvergiert - Folgen und Konvergenz können also auch geometrisch geschehen und nicht nur auf der Ebene der Zahlen. Dieses Verfahren zur Berechnung von Quadratwurzeln ist übrigens schon ca. 1750 vor (!) Christus bekannt gewesen und wurde um 100 n. Chr. von Heron von Alexandria in einem Buch niedergeschieben.