Grundlagen der anwendungsbezogenen Hochschulmathematik

5. Differentialrechnung

5.4. Extremwerte

Extremwerte


Wir werden den Zwischenwertsatz für differenzierbare Funktionen und seine Verbindung zu Extremwert-Problemen behandeln. Wiederholung:

Definition 1.

Eine Funktion \(f\colon A\to \mathbb{R}\) hat ein lokales Maximum im Punkt \(x_0\in A\), wenn für ein \(h\gt 0\) und für alle \(x\in A\) mit \(|x-x_0|\lt h\), gilt \(f(x)\leq f(x_0)\).

Analog hat eine Funktion \(f\colon A\to \mathbb{R}\) ein lokales Minimum im Punkt \(x_0\in A\) , wenn für ein \(h>0\) und für alle \(x\in A\) mit \(|x-x_0|\lt h\), gilt \(f(x)\geq f(x_0)\).

Ein lokales Extremum ist ein lokales Maximum oder ein lokales Minimum.

Um das später für mehrdimensionale Funktionen erweitern zu können, stellen wir noch eine äquivalente Definition vor. Betrachtet man eine Umgebung auf ganz \( \mathbb{R}\) entspricht dies einem Intervall.

Definition 1'
Ein Funktionswert \(f(x_0)\) wird als lokales Maximum von \(f\) bezeichnet, wenn eine Umgebung \(U(x_0) \subset D\) existiert, sodass für alle Werte \(x\in U(x_0)\) gilt: \[f(x) \leq f(x_0)\]
Definition 1''
Ein Funktionswert \(f(x_0)\) wird als lokales Minimum von \(f\) bezeichnet, wenn eine Umgebung \(U(x_0) \subset D\) existiert, sodass für alle Werte \(x\in U(x_0)\) gilt: \[f(x) \geq f(x_0)\]
Ist \(f(x_0)\) Maximum oder Minimum, so spricht man auch von einem Extremwert (Extremum); \(x_0\) wird dann als Extremstelle bezeichnet. Entsprechend nennt man \(P_0(x_0|f(x_0))\) einen Extrempunkt des Graphen von \(f\). Liegt ein Minimum vor, so heißt \(P_0\) Tiefpunkt; liegt ein Maximum vor, so heißt \(P_0\) Hochpunkt.

Vorsicht! Bei einem Extremum kann es sich gleichzeitig sowohl um ein Maximum als auch um ein Minimum handeln. S. Bsp. (s. Graphik).

Liegt an einer Stelle \(x_0\) ein Minimum vor, so ist die Funktion für \(x \leq x_0\) in einem (kleinen) Bereich monoton fallend und für \(x \geq x_0\) monoton wachsend. Liegt ein Maximum vor, so kehren sich die Ungleichheitszeichen um.

Hier ist zu beachten, dass dieses Monotonieverhalten lokal zu sehen ist. Eine Funktion kann beliebig viele Extrema aufweisen (z.B. die Sinusfunktion), sodass dieses Kriterium nur in einer gewissen Umgebung von \(x_0\) gilt.

Im Extrempunkt \((x_0 | f(x_0))\) einer Funktion \(f\), also in dem Punkt, in dem sich die Steigung \(f'\) gerade „umkehrt“, verläuft der Graph der Funktion waagrecht. Sie hat eine waagrechte Tangente, bzw. die Steigung \(f'(x_0)=0\). Dies führt zum folgenden Kriterium:

„Typen“ lokaler Extrema

Beispiel Sinusfunktion

Beispiel waagrechte Tangente

Notwendiges Kriterium für lokale Extremstellen

Satz 1.

Sei \(x_0\in [a,b]\) ein lokaler Extremwert einer stetigen Funktion \(f\colon [a,b]\to \mathbb{R}\). Dann gilt entweder,

  1. dass die Ableitung \(f'(x_0)\) nicht existiert (dies beinhaltet auch die Fälle der Randpunkte \(x_0=a\) und \(x_0=b\)) oder

  2. \(f'(x_0)=0\).

Dieses Kriterium ermöglicht, durch Berechnung der Ableitungsfunktion und von deren Nullstellen potentielle Extremstellen von \(f\) zu finden. Ob es sich bei den errechneten Stellen tatsächlich um Extremstellen handelt, muss allerdings anschließend geklärt werden.

Beispiel 1

Sei \(f: \mathbb{R} \to \mathbb{R}\) definiert als \[f(x) = x^3 -3x + 1.\] Dann \[f'(x) = 3x^2-3\] und wir sehen, dass wir für \(x_0 = -1\) und \(x_1 = 1\) Kandidaten für lokale Maxima und Minima von \(f\) erhalten, denn

\[f'(-1) = 3 \cdot (-1)^2 - 3 = 0 \text{ und } f'(1) = 3 \cdot 1^2 - 3 = 0.\]

Anhand des blauen Graphen rechts können wir sehen, dass \(x_0\) das lokale Maximum und \( x_1 \) das lokale Minimum der Funktion darstellt.

ACHTUNG: Die Eigenschaft eine Nullstelle der Ableitung zu sein ist nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für Extremstellen. Das heißt jedes lokale Extremum (einer differenzierbaren Funktion) hat als Ableitung den Wert 0, aber nicht jede Nullstelle der Ableitungsfunktion ist ein lokales Extremum. Solche Punkte nennt man Sattelpunkte. Dazu ein Beispiel:

Sei  \(f: \mathbb{R} \to \mathbb{R}\) definiert als \[f(x) = x^3.\]

Zunächst ist \( f'(x) = 3x^2 \) und als einzige Nullstelle von \( f' \) erhält man \( x_0 = 0 \). Jedoch ist dies weder ein lokales Minimum noch Maximum wie der Graph zeigt. D.h. anhand geeigneter Methoden, die wir kennenlernen werden, muss dies zusätzlich gezeigt werden. Anhand derer kann dann aber entschieden werden, ob ein Minimum oder Maximum vorliegt.

Die Funktion \(x^3-3x+1\) und ihre Ableitungsfunktion \(3x^2-3\).

Hinreichende Kriterien für lokale Extremstellen

\(f\) sei eine auf einem offenen Intervall \(I\) differenzierbare Funktion und \(x_0 \in I\).

1. hinreichendes Kriterium:

Ist \(x_0\) eine Nullstelle von \(f'\) und hat \(f‘\) in \(x_0\) einen Vorzeichenwechsel, so ist \(x_0\) eine lokale Extremstelle von \(f\).

2. hinreichendes Kriterium:

Gilt \(f'(x_0) = 0\) und \(f''(x_0) \neq 0\), so ist \(x_0\) lokale Extremstelle von \(f\).

VZW Vorzeichenwechsel:

D. h., es existiert \(\epsilon > 0\), sodass auf \((x_0-\epsilon, x_0)\) gilt: \(f'(x)<0\) und auf \((x_0, x_0+ \epsilon)\) gilt: \(f'(x)>0\); oder das Gleiche mit vertauschen Relationszeichnen.

Im Anschluss an die Überprüfung dieser Kriterien bleibt der Funktionswert \(f(x_0)\) an der Stelle \(x_0\) zu berechnen.

Außerdem bleibt zu klären, ob es sich bei dem so gefundenen Extremum um ein Maximum oder ein Minimum handelt.

  1. Je nach Verlauf des Vorzeichenwechsels liegt ein Minimum (VZW von „Minus“ zu „Plus“) oder ein Maximum (VZW von „Plus“ zu „Minus“) vor. Dies ist gleichbedeutend damit, dass die Ableitung \(f'\) zuerst fällt und dann steigt, bzw. umgekehrt.
  2. Ist die zweite Ableitung \(f''(x_0)\) positiv (dies entspricht einem VZW von „Minus“ zu „Plus“, so liegt ein Minimum vor; ist \(f''(x_0)\) negativ, so liegt ein Maximum vor.

Achtung! Kriterium 2 ist hinreichend, aber nicht notwendig. So gibt es Funktionen \(f\), die Extrema in einem Punkt \(x_0\) aufweisen, obwohl \(f''(x_0) = 0\) gilt.


Ermitteln der globalen Extrema

In der Praxis, wenn wir die lokalen Extrema einer gegebenen Funktion suchen, müssen wir drei Punkte überprüfen:

  1. Die Nullstellen der Ableitung

  2. Die Randpunkte des Definitionsbereiches (Intervall)

  3. Punkte, an denen die Funktion nicht differenzierbar ist.

Falls wir bereits vorher wissen, dass die Funktion ein Maximum/Minimum besitzt, dann beginnen wir damit alle möglichen lokalen Extrema ausfindig zu machen (nach den obigen Punkten), die Funktion an diesen auszuwerten und den größten/kleinsten Wert zu wählen.

Beispiel 2

Zu finden ist der kleinste und der größte Wert der Funktion \(f\colon [0,2]\to \mathbf{R}\), \(f(x)=x^3-6x\). Da die Funktion stetig auf einem geschlossenen Intervall ist, besitzt sie ein Maximum und ein Minimum. Da die Funktion differenzierbar ist, genügt es die Randpunkte des Intervalls und die Nullstellen der Ableitung innerhalb des Intervalls zu untersuchen.

Die Nullstellen der Ableitung: \(f'(x)=3x^2-6=0 \Leftrightarrow x=\pm \sqrt{2}\). Da \(-\sqrt{2}\not\in [0,2]\), brauchen wir die Funktion nur an drei Punkten auszuwerten, \(f(0)=0\), \(f(\sqrt{2})=-4\sqrt{2}\) und \(f(2)=-4\). An diesen können wir sehen, dass der kleinste Wert der Funktion \(-4\sqrt{2}\) und der größte Wert \(0\) dementsprechend ist..

Als nächstes formulieren wir ein fundamentales Ergebnis für differenzierbare Funktionen. Die grundlegende Idee hier ist, dass eine Änderung auf dem Intervall nur geschehen kann, wenn auch eine Änderung im Intervall stattfindet.

Satz 2 (Mittelwertsatz)

Sei \(f\colon [a,b]\to \mathbb{R}\) stetig auf dem Intervall \([a,b]\) und differenzierbar im Intervall \((a,b)\). Dann gilt \[f'(x_0)=\frac{f(b)-f(a)}{b-a}\] für ein \(x_0\in (a,b).\)

Beweis

Zunächst wollen wir betrachten, was der Mittelwertsatz (MWS) aussagt; hierfür betrachten wir uns die Gleichung genauer: Auf der rechten Seite steht letztlich nichts anderes als die Sekantensteigung zwischen den Punkten \( (a, f(a)) \) und \( (b, f(b)) \). Der MWS besagt nun, dass es mindestens eine Stelle \( x_0 \) im Intervall \( (a,b) \) gibt, sodass dort die Tangentensteigung \( f'(x_0) \) damit identisch ist.

Geometrisch können wir also die Sekante zwischen den Punkten \( (a, f(a)) \) und \( (b, f(b)) \) parallel so verschieben, dass sie zu einer Tangente im Punkt \( (x_0,f(x_0)) \) wird.

Mit Hilfe des MWS können wir nun folgendes wichtiges Resultat für die Anwendung beweisen. Dabei nutzen wir aus, dass die Gleichung des MWS im Grenzfall von der Sekanten- zur Tangentensteigung wird und damit die Ableitung in einem Punkt repräsentiert.

Satz 3

Sei \(f\colon (a,b)\to \mathbb{R}\) eine differenzierbare Funktion. Dann gilt:

  1. Genau dann wenn für alle \(x\in (a,b) \ \ f'(x)\geq 0\) gilt, dann ist \(f\) steigend,

  2. Genau dann wenn für alle \(x\in (a,b) \ \ f'(x)\leq 0\) gilt, dann ist \(f\) fallend.

Beweis

Hinweis: Man kann auch eine etwas stärkere Aussage mit einer sehr ähnliche Beweisidee zeigen. Diese gilt allerdings nur in eine Richtung, d.h. man kann nur aus den Werten der Ableitung auf die Monotonie schließen und nicht umgekehrt.

Wenn für alle \(x\in (a,b) \ \ f'(x) > 0\) gilt, dann ist \(f\) streng monoton steigend bzw. wenn für alle \(x\in (a,b) \ \ f'(x) < 0\) gilt, dann ist \(f\) streng monoton fallend.

Ein Beispiel, dass die Rückrichtung im Allgemeinen nicht gilt, ist \(f(x) = x^3\). Die Funktion \( f \) ist zwar streng monoton steigend \(( f(x_2) - f(x_1) > 0 \) für alle \( x_2 > x_1 )\), aber es gilt \( f'(0)=0 \).

Beispiel 3

Für das Polynom \(f(x) = \frac{1}{4} x^4-2x^2-7\) ist die Ableitung \[f'(x) = x^3-4x = x(x^2-4) = 0,\] wenn \(x=0\), \(x=2\) oder \(x=-2\). Nun können wir eine Tabelle anlegen und mithilfe derer entscheiden, ob ein Minimum oder Maximum vorliegt:

\(x<-2\)\(-2 \lt x \lt 0\)\(0 \lt x \lt 2\)\(x>2\)
\(x\) \(<0\) \(<0\) \(>0\) \(>0\)
\(x^2-4\) \(>0\) \(<0\) \(<0\) \(>0\)
\(f'(x)\) \(<0\) \(>0\) \(<0\) \(>0\)
\(f(x)\) fallend steigend fallend steigend

Beispiel 4

Gesucht ist ein Rechteck, so dass der Flächeninhalt \(9\) beträgt und der Umfang möglichst klein ist.

Seien \(x\ (>0)\) und \(y\ (>0)\) die Seiten des Rechtecks. Dann gilt \(x \cdot y = 9\) und wir erhalten \(y=\frac{9}{x}\). Der Umfang lässt sich schreiben als \[2x+2y = 2x+2 \frac{9}{x} = \frac{2x^2+18}{x}.\] In welchem Punkt nimmt die Funktion \(f(x) = \frac{2x^2+18}{x}\) ihren kleinsten Wert an? Die Funktion \(f\) ist stetig und differenzierbar für \(x>0\) und durch Anwendung der Quotientenregel erhalten wir \[f'(x) = \frac{4x \cdot x-(2x^2+18) \cdot 1}{x^2} = \frac{2x^2-18}{x^2}.\] Nun ist \(f'(x) = 0\), wenn \[\begin{aligned}2x^2-18 &= 0 \\ 2x^2 &= 18 \\ x^2 &= 9 \\ x &= \pm 3\end{aligned}\] aber wir haben \(x>0\) voraussgesetzt, also interessiert uns nur der Fall \(x=3\). Hierzu legen wir eine Tabelle an:

\(x<3\)\(x>3\)
\(f'(x)\) \(<0\) \(>0\)
\(f(x)\) fallend steigend

Da die Funktion \(f\) stetig ist, wissen wir nun, dass sie ihr Minimum im Punkt \(x=3\). Jetzt können wir die andere Seite des Rechtecks berechnen: \(y=\frac{9}{x}=\frac{9}{3}=3\).

Somit ist das Rechteck mit dem geringsten Umfang in Wirklichkeit ein Quadrat mit der Seitenlänge \(3\).

Die Funktion \(\frac{1}{4} x^4-2x^2-7\).


Die Funktion \(\frac{2x^2+18}{x}\).

Beispiel 5

Wir bestimmen einen 1-Liter Meßbecher, welcher die Form eines Zylinders mit der Grundfläche eines Kreises hat ohne einen Deckel. Gesucht ist die optimale Größe für den Boden und die Höhe, so dass die geringste Menge an Material für den Meßbecher benötigt wird.

Sei \(r > 0\) der Radius und \(h > 0\) die Höhe des Zylinders. Das Volumen des Zylinder ist \(1\) dm\(^3\) und wir können \(\pi r^2 h = 1\) umschreiben und erhalten \[h = \frac{1}{\pi r^2}.\]

Die benötigte Materialmenge entspricht dem Oberflächeninhalt \[A_{\text{bottom}} + A_{\text{side}} = \pi r^2 + 2 \pi r h = \pi r^2 + \frac{2 \pi r}{\pi r^2} = \pi r^2 + \frac{2}{r}.\]

Sei die Funktion \(f: (0, \infty) \to \mathbb{R}\) definiert als \[f(r) = \pi r^2 + \frac{2}{r}.\] Wir müssen den Wert für das Minimum der Funktion \(f\), die stetig und differenzierbar ist, finden für \(r>0\). Anwenden der Ableitungsregel für Umkehrfunktionen liefert \[f'(r) = 2\pi r -2 \cdot \frac{1}{r^2} = \frac{2\pi r^3 - 2}{r^2}.\] Nun ist \(f'(r) = 0\), wenn \[\begin{aligned}2\pi r^3 - 2 &= 0 \\ 2\pi r^3 &= 2 \\ r^3 &= \frac{1}{\pi} \\ r &= \frac{1}{\sqrt[3]{\pi}}.\end{aligned}\]

Lege hierzu eine Tabelle an:

\(r<\frac{1}{\sqrt[3]{\pi}}\)\(r>\frac{1}{\sqrt[3]{\pi}}\)
\(f'(r)\) \(<0\) \(>0\)
\(f(r)\) fallend steigend

Da die Funktion \(f\) stetig ist, wissen wir, dass sie ihr Minimum für den Wert \(r= \frac{1}{\sqrt[3]{\pi}} \approx 0.683\) annimmt. Dann \[h = \frac{1}{\pi r^2} = \frac{1}{\pi \left(\frac{1}{\sqrt[3]{\pi}}\right)^2} = \frac{1}{\frac{\pi}{\pi^{2/3}}} = \frac{1}{\sqrt[3]{\pi}} \approx 0.683.\]

Das heißt, die geringste Menge an Material für den Meßbecher beträgt ungefähr \(2 \cdot 0.683\) dm \( = 1.366\) dm \( \approx 13.7\) cm im Durchmesser und ist \(0.683\) dm \( \approx 6.8\) cm hoch.

Die Funktion \(\pi r^2 + \frac{2}{r}\).